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In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.


Der gebürtige Stuttgarter Alban Manz hat die Radkultur in Stuttgart ordentlich aufgemischt: Unser 0711er der Woche ist Initiator der Bewegung Critical Mass, die es sich zum Ziel gemacht hat, den Verkehrsraum für Radfahrer zurück zu erobern. Warum er die Mutterstadt zunächst wieder neu für sich entdecken musste, erzählte uns Alban bei einer Limo im Café Babel.

Ein Text von Maren mit Fotos von Saeed

Wenn rund 800 Radler vergnüglich durch die Stuttgarter Innenstadt rollen, ist das mitunter Alban zuzuschreiben – auch wenn er das selber nie so sagen würde. Wie erst am vergangenen Freitag eindrucksvoll bewiesen, versammeln sich jeden ersten Freitag im Monat etliche Radler und fahren samt “Bumbox” im Gepäck durch die Innenstadt. Um für das Radfahren als solches auf die Straße zu gehen, aber auch einfach, weil es ein riesen Spaß ist, einmal durch die autofreie City düsen zu können.

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Aufgewachsen in Stuttgart, zog es Alban mit zarten 19 Jahren und dem Abi in der Tasche raus aus dem Kessel. „Irgendwie war es eng und ich hatte eine Art ,Kessel-Koller’“, erinnert er sich zurück. Also ging’s nach Berlin – wenn schon, denn schon. In der Hauptstadt machte er dann zunächst seinen Zivi und im Anschluss sein Architektur-Studium. Auch danach blieb er der Metropole erst mal treu, um in einem Architekturbüro zu arbeiten. „Die beiden Schwerpunkte, die ich im Leben hab‘ sind Stuttgart und Berlin“, erzählt Alban. „Aber der Großteil meines jetzigen Umfelds lebt hier in Stuttgart und das ist schon meine Heimatstadt“, fügt er hinzu.

Wenn du mal zehn Jahre weg bist, dann siehst du die Stadt ganz anders, als wenn du immer da bist.

Dass er irgendwann zurück in die Mutterstadt kehren würde, stand lange Zeit in den Sternen. „Aber ich hab‘ die Stadt schließlich wieder für mich entdeckt und einen ganz neuen Blick darauf gewonnen“, sagt Alban. Als ein Jobwechsel vor der Tür stand und der Architekt eigentlich nur zu Besuch in Stuttgart war, wurde er kurzerhand hier fündig. Und blieb. Alte Liebe rostet eben nicht.

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Ein Faible zum Radfahren hat er schon seit jeher. Doch zur Critical Mass sei er gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde, erzählt der 42-Jährige. In einer Fahrrad-Zeitschrift habe er vor rund fünf Jahren überhaupt erst von dem Konzept erfahren und dachte sich prompt: „Das klingt nach ‘ner tollen Aktion, wo Leute mit Spaß und Freude auf die Straße gehen, quasi für ne gute Sache demonstrieren, aber irgendwie doch nicht, weil es so locker ist. Das gibt‘s doch bestimmt auch hier irgendwo.“ Enttäuscht musste er damals feststellen, dass der Begeisterungssturm in Stuttgart noch nicht mal ansatzweise ausgebrochen war. „Ich bin mit ganz großen Erwartungen zum Feuersee und da waren dann bloß zehn oder zwölf Leute.“ Sie seien dann trotzdem „ein bisschen in der Gegend rum gefahren“. Dieses Szenario habe sich einen Monat später wiederholt. „Und dann ist bei mir irgendwie der Ehrgeiz erwacht. Ich habe angefangen Flyer zu machen, den Blog mit aktuellen Fotos zu ,pimpen’ und jemand anderes hat angefangen die Facebook-Seite zu pflegen.” So wurde die Veranstaltung gestreut und sei dadurch auch gewachsen.

Radfahren war für mich immer ein Freiheitsgedanke – man kann aus eigener Kraft überall hinfahren.

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Es habe dennoch rund zwei Jahre gedauert, bis sich die Aktion rumgesprochen habe. Der Durchbruch kam dann 2014. „Da hat sich die Teilnehmerzahl jedes Mal verdoppelt, bis es im Sommer um die 400 Mitfahrer waren“, erzählt er begeistert. „Und das war geil. Da hat es sich zum ersten Mal richtig groß angefühlt.“ Dass er sich in der Abstimmung mit der Stadt und der Polizei stärker engagiert hat, habe sich unwillkürlich ergeben. „Am Anfang hat mir das nicht so richtig behagt, weil ich dachte: ,Warum brauchen wir Polizeischutz, wenn wir in der Stadt Fahrrad fahren?‘ Das widerspricht dem Ding total.“ Die Bürokratie habe dann plötzlich einen ganzen Rattenschwanz mit sich gezogen. Trotzdem dachte sich der leidenschaftliche Radler: „Es bedeutet vielleicht ein bisschen Aufwand. Doch wenn es dazu dient, dass die Leute mitfahren, sich sicher fühlen und niemand Stress hat, dann mache ich das einfach.“ Ebenfalls unstimmig sei die Tatsache, dass ein Versammlungsleiter ernannt werden müsse, denn „das widerspricht der freien Bewegung“. Es gebe eigentlich keinen Verantwortlichen, außer ein paar Leuten, die das „pushen“. Er wolle deshalb auch nicht von organisieren reden, sondern es sei vielmehr ein Ankurbeln und Bewerben.

Wenn man sich für ‘ne andere Verkehrsform einsetzt, ist es wichtig, dass das mit Spaß und Lockerheit passiert – ohne Zwang und den moralischen Zeigefinger. Und das finde ich das schöne an der Sache.

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Die Autokultur, die in Stuttgart vorherrsche, sei tief in der Verwaltung und bei denjenigen verankert, die sich um die Verkehrsplanung kümmern, beleuchtet Alban die Situation. „Jahrzehnte hat man gedacht: ,Wir haben Autoverkehr, Fußgängerverkehr und öffentlichen Nahverkehr haben wir auch noch. Und Räder gibt’s nicht, die haben wir vergessen.‘ Und so sieht’s halt aus, es gibt keine Radspuren.“ Jetzt müsse man mit diesem betonierten Erbe, was wir in Stuttgart haben, irgendwie umgehen. Dazu bedarf es viel Überzeugungsarbeit. Dabei sei es doch eigentlich ganz einfach: „Wenn du Straßen für Autos baust, dann kriegst du Autoverkehr und wenn du Radspuren anbietest, nutzen die Leute das. Die richten sich ja immer in der Umgebung ein, die man ihnen bietet.“

Es bräuchte auf jeden Fall mehr Leute auf der offiziellen Seite, in Verwaltung, Planung und Politik, die das aktiv unterstützen. Weil Lippenbekenntnisse gibt es viele.

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Mit Aktionen wie der Critical Mass, erhoffe er sich einen Erkenntnisgewinn bei den Bewohnern der Stadt. „Dass man versucht diese Nutzung von ‘nem Auto, die manchmal sein muss, auf ein sinnvolles Maß zurückzuführen. Diesen totalen Luxus, den das Auto bietet, als das zu begreifen, was er ist: Nämlich Luxus und nicht als Alltagsgut, das man einfach so hinnimmt.“ Denn wenn man diesen automobilen Wahnsinn, der im Moment herrscht zurückfährt, haben eigentlich alle etwas davon, findet Alban. “Ich finde es von Außen betrachtet so ein überzeugendes Bild, wenn die Leute mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren, dass man das nur mit großem Unwillen missverstehen kann. Da gibt es doch eigentlich so wenig gegen einzuwenden.“

Vor anderthalb Jahren schlitterte der Fahrradliebhaber auch beruflich holtadipolta in die Radbranche und macht seither PR und Marketing für verschiedene Hersteller. Seinen jetzigen Chef habe er – wie soll es anders sein – durch die Critical Mass kennen gelernt. Zu diesem Zeitpunkt wollte er sich sowieso gerade umorientieren. Ihm sei bei seinem letzten Job einfach ein bisschen die Begeisterung abhanden gekommen. „Und dann hab‘ ich quasi im Schnelldurchlauf das Marketing-Handwerk erlernt“, verrät er. Ein bisschen wehmütig denke er manchmal noch an seinen alten Beruf zurück: „Architekt ist man entweder ganz oder gar nicht. Das kann man schlecht auf Sparflamme machen.“

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Berufsbezogen wolle er dem Fahrrad-Thema aber treu bleiben. Er könnte sich auch vorstellen, noch stärker radverkehrspolitisch aktiv zu werden. „Ich bin ein relativ geduldiger und ausdauernder Mensch und kann mir auch lange an einem Ding die Zähne ausbeißen“, bemerkt er. Das glauben wir dir sofort, lieber Alban. Mach weiter so, Stuttgart braucht Leute, wie dich!

 

Critical Mass @ FACEBOOK

Critical Mass @ BLOG

Die nächste Critical Mass findet übrigens am 2. September statt.

 

NAME … Alban Manz – ALTER … 42

HERKUNFT … Stuttgart – STADTTEIL … Heslach

 

WAS ICH SO MACH’ … früher: Häuser planen, heute: Fahrräder promoten 

MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST … das oberste Parkdeck auf dem Parkhaus Jägerstraße

GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … Bikepolo

MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … Kaffee, Zeitung und Frühstück bis um drei Uhr

ICH KANN NICHT OHNE … mein Fahrrad

DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … Stuttgart von oben

DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … Speichen polieren

ICH WÜRDE NIEMALS … mit dem Auto zum Bäcker fahren

ICH LIEBE AN STUTTGART … den Blick von den Hügeln auf die Stadt

ICH HASSE AN STUTTGART … die beachtlichen stadtplanerischen Fehlentscheidungen – schwäbischer Größenwahn?

WENN NICHT STUTTGART, DANN … Berlin oder Bodensee

DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Flickzeug

WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … Fenster auf, rausgucken, Luft schnappen

SO KRIEGT MAN MICH RUM … Feierabendbierchen?

WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … Jan Gehl

UND ZWAR WO? … in einem schönen Gartenlokal… Teehaus? 

STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … Du bist eine verkannte Schönheit – aber Du machst auch nix aus Dir!

Maren Wiesner
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