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In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.


Wo Ratzer drauf steht, ist auch Ratzer drin – und zwar gleich doppelt! Hier kommt Nummero zwei unseres Doppelpacks. Dürfen wir vorstellen? Brigitte Ratzer: Liebenswerter Kaffee-Junkie mit ausgeprägten Ordnungs-Sinn, die einen ganz wesentlichen Teil zu der Erfolgsgeschichte von Ratzer Records beigetragen hat. 

Ein Text von Maren mit Fotos von Saeed

Dass der Plattenladen Ratzer Records eine DER Stuttgarter Institutionen von Rang und Namen ist, muss an dieser Stelle gar nicht mehr erwähnt werden. Punkt. Deswegen kommen wir ohne Umschweife zum Wesentlichen: Heute steht Brigitte Ratzer, die Frau an der Seite von Karl-Heinz, im Zentrum der Aufmerksamkeit (auch wenn das eigentlich gar nicht so ihr Ding ist).

Zuerst interessiert uns natürlich brennend, wie sich die beiden kennen gelernt haben. “Ich habe mir als Teenager immer ‘nen Freund mit ‘ner großen Plattensammlung gewünscht“, gesteht Brigitte lachend. Damals hatte ihre beste Freundin einen Freund, der um die 50 LPs im Schrank hatte. „Das fand ich sensationell.“ Dass ihr Karl-Heinz dahingehend (gelinde gesagt) eine gewisse Leidenschaft an den Tag legte, habe sie bei ihrer ersten Begegnung noch nicht gewusst. Brigitte hatte wohl einfach einen guten Riecher. Und so funkte es sofort: “Ich mochte Musik schon immer. Wir haben uns kennen gelernt und es hat einfach gepasst“, lässt sie verlauten und wir schmelzen insgeheim ein wenig dahin.

Mir hat vor allem das ganze Umfeld immer viel Spaß gemacht. Ich könnte nicht ohne Musik.

0711er der Woche_Ratzer Rec_by Saeed-7397Aber zurück zum Text: Unsere 0711erin hatte  zu diesem Zeitpunkt ihre Ausbildung zur Schneiderin abgeschlossen.  Als ihr Karl-Heinz sich kurzentschlossen in die Selbstständigkeit wagte, war Brigitte sofort dabei und unterstützte ihn in seinem Vorhaben. Ihren ersten Plattenladen in der Paulinenstraße führten sie schließlich 14 Jahre lang gemeinsam. „Die Grunge-Zeit lief richtig gut“, berichtet sie. Anfang bis Mitte, Ende der Neunziger – das sei ihre Zeit gewesen. Danach kriselte es im Vinyl-Biz. Karl-Heinz habe durchgehalten, aber sie dachte sich damals: „Mit 40 will ich bestimmt nicht mehr hinter‘m Plattentresen stehen.“ Also setzte die Schneiderin noch einen Meister oben drauf und machte schließlich ihre eigene Maßschneiderwerkstatt auf. Dort entstanden in liebevoller Handarbeit zahlreiche Kostüme und Bühnenoutfits für diverse Stuttgarter Theater und Musicals. Nebenher unterrichtete sie zwei Jahre lang Schnitt bei der Modeschule Kehrer. Nach einem Jahrzehnt warf sie schließlich das Handtuch (bzw. die Schere), denn die Schneiderei war nicht besonders lukrativ.

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Dass man keine Platten zu Hause hat, kann ich mir nicht vorstellen, das geht nicht. 

Karl-Heinz, der zwischenzeitig einen kleineren Plattenladen alleine führte, erging es ähnlich. Die ernüchternde Erkenntnis war: „Das hat keinen Wert mehr. Wir schaffen beide wie verrückt und es bleibt nichts hängen“, erzählt die Stuttgarterin. Also begaben sie sich erneut auf Locationsuche und feilten etwas am Konzept ihres Stores. “Wir hatten früher immer den Traum, mal einen kleinen Club aufzumachen.“ Der Laden im Leonhardsviertel kam ihnen da genau recht. Auf Dauer war der Aufwand aber zu hoch für zwei Leute. Schließlich komme man irgendwann in ein Alter, wo man Freitagabend lieber mal die Füße aufs Sofa legt, anstatt bis kurz vor Mitternacht aufzuräumen, berichtet sie, während sie uns hinter der Theke einen leckeren Kaffee kredenzt.

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Ohne Kaffee geht gar nix.

Gutes Stichwort: Wie kam es zum integrierten Café? Der persönliche Touch habe bei den Ratzers schon immer zu guten Ton gehört und es bürgerte sich schließlich ein, dass die Leute nicht nur zum Platten kaufen, sondern auch zum Quatschen vorbei kamen. Da lag die Erweiterung des Ladenkonzepts nahe. Nach all den Jahren könne sie ihre Kundschaft sehr genau einschätzen. „Du siehst, ob jemand was sucht und beraten werden möchte, oder reinkommt und seine Ruhe haben will.“ Der große Unterschied zu früher? Durchs Internet seien die jüngeren Leute abgeklärter und hätten ihren ganz eigenen Geschmack: “Die gucken sich das vorher an und fragen ganz gezielt.“ Die treue Stammkundschaft, die sich von Karl-Heinz beraten lässt, gebe es trotzdem noch.

Wir verkaufen seit 33 Jahren Vinyl, nicht erst seit dem Hype.

Ihr Sortiment sei von Beginn an klar gewesen: „Rock und Pop war einfach unsere Musik.“ Techno und Electro hingegen sei nie so ihr Ding gewesen. Dafür sei sie auch einen Ticken zu alt, stellt unsere 0711erin fest. „Für mich war die Musik der frühen 90er die, die am meisten hängen geblieben ist.“ Auch privat höre sie fast ausschließlich Vinyl. Nicht aus Prinzip, sondern vielmehr aus Gewohnheit.

Von deiner Ruhe und Gelassenheit möchten wir uns nur allzu gerne eine Scheibe abschneiden, liebe Brigitte! Wir kommen jetzt öfter mal vorbei. Zum Kaffee trinken und quatschen.

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NAME … Brigitte Ratzer – ALTER … 56

HERKUNFT … Stuttgart – STADTTEIL …Untertürkheim

WAS ICH SO MACH’ … Öfter mal ausmisten

MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST …  Ein Bänkle mit Blick auf Uhlbach

GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … Frühling

MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … Karl-Heinz

ICH KANN NICHT OHNE … Mein Sofa auf der Terrasse

DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … Braunbären in den großartigen Wäldern von British Columbia

DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … Nix

ICH WÜRDE NIEMALS … Vom Zehner springen

ICH LIEBE AN STUTTGART … Die Höhen

ICH HASSE AN STUTTGART … Die Stadtautobahn

WENN NICHT STUTTGART, DANN … Vancouver

DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Meine Brille

WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … Kaffee

SO KRIEGT MAN MICH RUM … Frisches Brot mit lecker Käse

WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … Netten Menschen

UND ZWAR WO? … Überall, wo man herzlich willkommen ist

STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … Bitte ein bisschen gelassener!

Maren Wiesner
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