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In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.


Der Choreograph, Tänzer und Musiker Eric Gauthier liebt die Bühne. Und die Bühne liebt ihn. Wie im Flug ist Eric der große (Spagat)Sprung vom Publikumsmagneten des Stuttgarter Balletts zum international gefeierten Choreographen und Company-Leiter von „Gauthier Dance“ am Theaterhaus Stuttgart gelungen. Wir trafen den Tausendsassa aus Kanada kurz vor Beginn des COLOURS International Dance Festival, das bis gestern im Theaterhaus im Gange war.

Ein Text von Maren mit Fotos von Saeed

Unser 0711er begrüßt uns ausgesprochen tiefenentspannt, obwohl sein 18-tägiges Dance Festival gerade in den Startlöchern steht. Wodurch einst seine Passion für den Tanz entfacht wurde, daran kann sich Eric noch ganz genau erinnern: Geboren und aufgewachsen in Montreal, hatte er als kleiner Bub – wie die allermeisten kanadischen Jungs – vor allem Augen für Kanadas Nationalsport, genau: Eishockey. Zumindest bis zu jenem Tag, als Klein-Eric das Musical „Cats“ sah. Es traf ihn wie einen Blitz, berichtet er. Nach der Show drehte er sich zu seiner Mutter um und eröffnete ihr: „Das will ich auch machen, das ist mein neues Ziel.“ Gesagt, getan: Eine Woche später nahm er seine erste Ballettstunde. Ein Jahr darauf ging es für das Naturtalent bereits an die National Ballet School nach Toronto, wo er neben dem Tanz eine Ausbildung in Musik und Gesang genoss. Damals war er wohl gemerkt gerade zehn Jahre alt.

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Von Kanada in den Kessel 

1996 ging ein lang ersehnter Traum in Erfüllung: Unter der Leitung von „the one and only“ Reid Anderson wurde er Teil des „National Ballet of Canada“. Als Anderson ein Jahr später zum Stuttgarter Ballett wechselte, nahm er Eric kurzerhand mit an die renommierte Stuttgarter Company. Das sei eine riesige Ehre für den damals 17-Jährigen gewesen, sagt Eric. Der zielstrebige Tänzer schuftete hart und avancierte 2002 schließlich zum Solotänzer. Gauthier tanzte in zahlreichen klassischen Rollen über die Stuttgarter Bühne – darunter in einigen Cranko-Stücken und in Produktionen anderer namhafter Choreografen, die teilweise eigens für ihn Rollen entwickelten. Besonders angetan haben es ihm die zeitgenössischen oder neoklassischen Stücke, schildert er.

Beim klassischen Ballett bist du bist wie ein Soldat: Nummer 46 von 100 Tänzern. 

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Doch die Ballett-Bühne war für unseren 0711er irgendwann nicht mehr genug. Im Ballett müsse immer alles so perfekt sein, erzählt er. Also gründete er nebenher seine eigene Band und tobte sich irgendwo zwischen Britpop und Rock aus. Seine Premiere als Choreograph hatte Eric 2005 – diese brachte den Stein schließlich endgültig ins Rollen: Beim 21. Internationalen Wettbewerb für Choreographen der Ballettgesellschaft Hannover überzeugte er mit seinem Stück „Ballet 101“ sowohl das Publikum als auch die Kritiker. 2007 wagte er schlussendlich das, wovon viele Choreografen nur träumen: Er wurde Künstlerischer Leiter von Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart. Bei seinem Ensemble, bestehend aus mittlerweile 16 dynamischen Tänzern, sei jeder einzelne ein extrem wichtiger Bestandteil für das gesamte Puzzle.

Ich war immer besser in modernen Stücken.

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In Windeseile fasste die Company Fuß in der Tanzszene und startete auch international durch. So tanzt Gauthier Dance von Europa über Moskau, die USA und Korea auf den Bühnen dieser Welt. Darüber hinaus sahnte der Company-Chef 2011 den deutschen Tanzpreis Zukunft für Choreographie ab. Vor zwei Jahren mischte er mit der ersten Ausgabe des vom Theaterhaus Stuttgart produzierten “COLOURS International Dance Festival“ die Tanzwelt einmal mehr auf. „Ich hatte den Traum, dass jede Halle den ganzen Abend lang mit Tanz bespielt wird“, erläutert Eric. Wegen einem Festival würden viele Zuschauer kommen, die sich normalerweise keinen Tanz anschauen, sondern eher ins Kino gehen – das war sein Kalkül. Die Idee dahinter könne man sich wie die bunte Farbpalette eines Malers vorstellen, führt Eric aus: Jede Nuance steht für eine andere Art des Tanzes.

Festivals sind immer etwas ganz besonderes, sie bringen Schwung in die Kiste! 

Tanz ist für alle da

Bei all den Lorbeeren ist der 40-Jährige herrlich auf dem Boden geblieben. Sein simples Mantra: Jeder kann tanzen! „Es geht darum, den Menschen die richtige Stimmung zu vermitteln: Die passende Musik, den richtigen Tanzstil und das richtige Wohlgefühl – dann machen alle mit“, erklärt Eric und ergänzt: „Ich habe gerade einen Workshop gemacht, da kamen 700 (!) Menschen jeglicher Körpergröße und -form zusammen, jung und alt, und alle haben drei Stunden lang durchgetanzt.“ Als Sohn eines Alzheimer-Forschers wurde Eric von kleinauf für diese Thematik sensibilisiert: Soziales Engagement? – Für ihn Ehrensache. Mit „Gauthier Dance Mobil“ bringt das Ensemble den Tanz regelmäßig zu den Menschen, die selber nicht ins Theater kommen können. Darüber hinaus veranstaltet er im Theaterhaus eine jährliche Benefiz-Gala zugunsten der Alzheimer-Forschung. Für seinen Einsatz wurde Eric im April 2015 mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.

Wer stehen und laufen kann, kann auch tanzen – da gibt’s keine Ausrede.

Eric Gauthier_Dance_0711er der Woche_Stuttgart_0711blog_by Saeed-9787

Der Kanadier fühle sich in der Mutterstadt pudelwohl: Als er damals nach Stuttgart gegangen war, habe er seiner Mutter versprochen nach zwei Jahren wieder zurück zu kommen. Doch er hatte so eine gute Zeit am Stuttgarter Ballett, dass er blieb. „Stuttgart ist mein Zuhause – ich habe länger hier gelebt als in Kanada. Ich habe eine deutsche Frau, drei deutsche Kinder, eine deutsche Tanz-Company, ein deutsches Tanzfestival und eine deutsche Band. Außerdem rede ich jetzt auch ein ,bissle’ schwäbisch“, scherzt er.

Seine Tanzschuhe hat er eigentlich vor zwei Jahren an den Nagel gehängt. Nun ja, so ganz lassen kann er es aber noch nicht. Und so folgt im März nächsten Jahres sein vorerst letzter Auftritt als Tänzer – solo, denn der Altersunterschied zu seiner Mannschaft sei mittlerweile zu groß, sagt Eric und grinst. Auf der Bühne stehen wird er aber weiterhin. Reden zu halten und Workshops zu geben mache ihm fast noch mehr Spaß. „Wenn man selber tanzt, geht es um Perfektion – jetzt mache ich ein bisschen Rock ‘n’ Roll auf der Bühne“, flachst er. Was er noch erreichen wolle? „Ich will einfach halten, was wir haben.“ Dass das Festival in zwei Jahren wieder auflebt und „Gauthier Dance“ die letzte Produktion toppt, sei schon ein ambitioniertes Ziel. Ein wichtiges Anliegen des dreifachen Papas: mehr Zeit die Familie zu haben.

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Lieber Eric, deine Liebeserklärung an den Tanz wird hoffentlich noch viele weitere Menschen anstecken und dazu animieren, selber das Tanzbein zu schwingen. Du hast dich längst in die Herzen der Nation getanzt und wir sind gespannt, mit welchen Produktionen du und deine Company uns zukünftig verzaubern werdet!

GAUTHIER DANCE @ WEBSITE

COLOURS DANCE FESTIVAL @ WEBSITE

Maren Wiesner
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