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In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.


Er malt, zeichnet, fotografiert und macht Musik: Der Künstler mit dem klangvollen Namen Joaquin Lemaitre kommt aus Bolivien und wirbelt die Stuttgarter Kreativszene als Fortune Hunter ordentlich auf. Dass er darüber hinaus als Ingenieur arbeitet, vermutet man nicht direkt – ist aber so! Unser 0711er erzählte uns, wie eins zum anderen kam und warum seine Kunst durchaus mit einem Augenzwinkern zu betrachten ist. 

Ein Text von Maren mit Fotos von Jaydee

Mit seinen großformatigen Werken an sämtlichen Spots der Stadt und zwei Ausstellungen im Fluxus hat sich Joaquin Lemaitre alias Fortune Hunter längst einen Namen in der Mutterstadt gemacht. Und das, obwohl die Kunst bisweilen sein zweites Standbein ist. Dass er das künstlerische Handwerk in Form eines Studiums nicht von der Pike auf gelernt habe, bereue er null Komma null. Das Gute, wenn man nicht alles kann: Man limitiere sich auf ein paar Dinge, die man beherrscht. „Was da passiert ist sogar manchmal besser“, findet Joaquin. Sein neuester Clou: Er will einen Onlineshop für erschwingliche Kunst ins Leben rufen. Aber dazu später mehr!

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Zunächst reisen wir ein paar Jahre zurück: Geboren ist unser 0711er in Dortmund, seine Wurzeln hat er aber im Herzen Südamerikas, genauer gesagt in Bolivien. Wegen des Studiums seines Vaters sind seine Eltern damals nach Deutschland gezogen und haben einige Jahre im Ruhrpott verbracht. Als es die Family zurück in die Heimat zog, war Joaquin noch ein kleiner Bub. Doch von Deutschland habe er trotz alledem etwas aufgesogen, erzählt er. Da den Eltern dieser Bezug sehr wichtig war, haben sie ihre beiden Sprösslinge in Bolivien auf die Deutsche Schule geschickt.

Die Verbindung mit Deutschland war immer da.

Von Bolivien über Kanada ins Ländle

Als Sohn einer Künstlerin und eines Ingenieurs sei er hinsichtlich der Berufswahl immer ein wenig hin- und hergerissen gewesen, offenbart er. Seine Mutter habe seinem Bruder und ihm die kreative Entfaltung ermöglicht, der Vater die Leidenschaft für die Wissenschaft mit auf den Weg gegeben. Obwohl er schon damals eine Vorliebe für Kunst und Musik hatte, entschied er sich für den vernünftigeren Weg. Um die Kunstrichtung einzuschlagen, fehlte ihm zu dem Zeitpunkt vermutlich noch das entscheidende Quäntchen Selbstüberzeugung, mutmaßt er. Die Naturwissenschaften faszinierten ihn ebenfalls und Physik und Mathe waren in der Schule auch voll sein Ding. Also ging es für den Südamerikaner zum Maschinenbaustudium in die kanadische Metropole Montreal. Besonders der Weltraum löste seit jeher eine enorme Anziehungskraft auf ihn aus. Doch eines Tages realisierte er: „Astronaut zu sein wäre zwar cool, aber das ist etwas fernab der Realität.“ Mit Bedacht an die Zukunft beschäftigte er sich intensiver mit erneuerbaren Energien. Kunst blieb weiterhin ein Thema, allerdings spielte die Musik damals noch eine größere Rolle für Joaquin. So traf er sich mit Kommilitonen regelmäßig zu Jam-Sessions. „Aber leider waren wir nie aktiv genug, um selber etwas zu produzieren“, resümiert er.

Ich war schon als Kind fasziniert vom Weltall – mich hat die ganze Weltraumgeschichte interessiert. 

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Just das Studium in der Tasche, ging es für den frisch gebackenen Ingenieur auch schon auf Jobsuche. Dazu schaute er sich in Europa um, denn hier war das Thema erneuerbare Energien bereits viel weiter entwickelt. Wie es der Zufall so wollte, führte ihn diese Suche vor rund sechs Jahren in die Mutterstadt. „Ich war schon vertraut mit der deutschen Kultur, aber ich habe nicht lange hier gelebt, deswegen war ich froh über die Möglichkeit.“ Seither arbeitet er bei einem großen Beratungsunternehmen, plant Solar-Energie-Projekte und sei happy, damit „etwas Gutes“ beitragen zu können.

Surrealistische Kunst mit Humor

Im Arbeitsleben angekommen, hatte er endlich etwas Zeit für sich und somit auch für seine Kunst. Nebenbei habe er viel gezeichnet und ein paar Ideen entwickelt. Eine Zeit lang sei er total fasziniert von den Werken von „Blu“ gewesen, einem italienischen Streetart-Künstler. Inspiriert von dessen schwarz-weiß Werken, habe er angefangen, eine Wand in seinem Schlafzimmer zu bemalen. Nach und nach fügte er verschiedene Elemente hinzu, dadurch sei schließlich ein zweimonatiger Prozess ins Rollen gekommen. „Das war der Punkt, an dem ich dachte: ,Ok, vielleicht muss ich mehr in der Richtung machen’“, erläutert Joaquin lachend. 2014 rief er das Pseudonym „Fortune Hunter“ ins Leben. Die Idee dahinter? „Ich hatte den Gedanken, das irgendwann mal mit Musik zu verbinden und habe einen Künstlernamen gesucht, mit dem ich beides kombinieren kann.“ Über das Fluxus im Allgemeinen und Florentine Pilvi im Speziellen (btw: hier geht’s zu Pilvis 0711er-Beitrag) bekam er im LÀ POUR LÀ schließlich die Möglichkeit für seine erste Ausstellung „Through the lense“. Das Coole in Stuttgart sei, dass wenn man sich konstant in einem Metier bewege, schnell Leute kennen lerne, die etwas ähnliches machen.

Die meisten Leute in diesem Bereich sind offen und haben mich unterstützt. Sonst wäre ich nicht so motiviert gewesen.

Hier ein paar Impressionen seiner Werke:

  • Wie alles begann
    Wie alles begann

 

Seitdem habe sich seine Kunst in eine etwas andere Richtung weiter entwickelt. Die ursprüngliche Intention seien simple schwarz-weiß-Bilder gewesen, stets gepaart mit einer gewissen Zweideutigkeit. „Ich mag das mit dem Humor immer noch, allerdings habe ich etwas mit der Technik, den Farben und dem Medium experimentiert. Ich will mich da nicht zu sehr einschränken“, beschreibt unser 0711er seinen gegenwärtigen Stil. Für ihn gehöre zur Kunst immer auch eine gewisse Ästhetik dazu, auch wenn man das durchaus kritisieren könne. „Es muss eine Form haben und das Auge ansprechen, sodass das Kunstwerk per se schön ist“, führt er aus. Das sei die eine Komponente, um das Publikum zu erreichen. Der zweite, schwierigere Part sei es, das Ganze mit Inhalt zu verknüpfen. Oft komme die Frage nach der Bedeutung eines Werks. Doch davon wolle er abrücken: „Manchmal habe ich eine Art surrealistischer Idee, die ich nicht ganz erklären kann. Ich versuche einfach etwas nach außen zu transportieren, was das genau ist, kann ich schlecht beschreiben.“

Mit Kunst willst du den Leuten etwas geben. In meinem Fall ist es Freude – in irgendeiner Form.

Zwischen zwei Welten

Sein Job und seine Existenz als Künstler seien nicht immer einfach zu vereinbaren. Manchmal müsse er sozusagen ein Doppelleben führen. Aber es habe durchaus auch seine positiven Seiten: Durch die wenige Zeit, die ihm neben der Arbeit bleibt, fokussiere er sich mehr, das sei in gewisser Weise effektiver. „Im kreativen Prozess ist es machmal so: Wenn du zu viel Zeit und zu viele Werkzeuge hast, ist es umso schwieriger anzufangen.“ Dadurch, dass Fortune Hunter von Anfang an sein eigenes Projekt war, habe er alle Freiheiten der Welt: Niemand könne ihm sagen wie, was oder wie viel er machen solle. Sein Traum sei es, sich irgendwann voll und ganz der Kunst zu widmen.

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Er habe es sich zum Ziel gesetzt, Kunst auch für kleines Geld an die Frau bzw. den Mann zu bringen. In unserer Gesellschaft gebe man dafür kaum noch Geld aus, stellt der Künstler mit Bedauern fest. Er wolle damit nicht sagen, dass das Sinn und Zweck der Kunst sei. Doch er findet: Wir haben eine gewisse Verantwortung den Leuten gegenüber, die meistens nicht besonders gut verdienen und dennoch viel leisten. Mit einem weltweiten Onlineshop für qualitativ hochwertige, aber erschwingliche Kunst möchte er das ändern. Obendrein wolle er mehr Ausstellungen machen. Auch mal über die Grenzen des Kessels hinaus, um sich ebenso dem Feedback anderer Leute zu stellen.

Meine Leidenschaft ist die Kunst – denn das ist es, was mich am glücklichsten macht. Aber man kann auch nicht immer 24 Stunden am Tag kreativ sein. 

Ganz egal wohin dich dein Weg auch führt: Bitte bewahr dir deine Lebensfreude, lieber Joaquin! Die ist nämlich unbezahlbar und noch dazu unheimlich ansteckend.

FORTUNE HUNTER @ FACEBOOK
FORTUNE HUNTER @ WEBSITE

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NAME … Joaquin Lemaitre – ALTER … 31

HERKUNFT … Bolivien – STADTTEIL … West

WAS ICH SO MACH’ … Malen, Fotos und Gitarre

MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST … Die Stadtbibliothek (innen)

GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … Guten Songs

MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … Meinen Freunden was trinken gehen oder mit Julia auf irgend einer Reise

ICH KANN NICHT OHNE … Kunst und Musik.

DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … Die Salzwüste in Uyuni, Bolivien, einfach Hammer!

DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … Mit mir selbst auf Englisch sprechen.

ICH WÜRDE NIEMALS … Crocs kaufen.

ICH LIEBE AN STUTTGART … dass es noch so viele leere Wände gibt.

ICH HASSE AN STUTTGART … –

WENN NICHT STUTTGART, DANN … Montreal oder Barcelona

DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Kopfhörer oder meine Pentax.

WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … 200 Mal „snoozen“.

SO KRIEGT MAN MICH RUM … Pasta

WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … James Jean

UND ZWAR WO? … Commissary, Los Angeles

STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … Wusstest du dass du auf italienisch STOCCARDA heißt? lustig…

Maren Wiesner
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