In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.
Der Plochinger Marco Bläsi lebt seinen Traum: Unter dem Pseudonym SHDW geht der Techno-DJ und Produzent gerade voll durch die Decke. Zusammen mit seinem Compagnon Obscure Shape hat er die Veranstaltungsreihe sowie das gleichnamige Label „From Another Mind“ ins Leben gerufen. Wenn er am Wochenende nicht gerade durch die Metropolen dieser Welt jettet, um aufzulegen, arbeitet unser 0711er der Woche als Textilbetriebswirt. Zugegeben, der Drops ist schon etwas ausgelutscht, aber: Was für 1 Life!
Ein Text von Maren mit Fotos von Saeed
Marco alias SHDW (die vokalfreie Version von Shadow) wurde dieser Tage von den Lesern des Groove Magazins zum „Newcomer of the Year“ gewählt. Wir trafen den 25-Jährigen an einem Sonntagmittag, als er geradewegs von einem Gig im ToY kam. Dafür sah er übrigens unverschämt ausgeschlafen aus, möchten wir an dieser Stelle einmal anmerken. Wieso eigentlich Shadow, wollen wir wissen? „Ich finde, dass die Musik ein bisschen düster und geheimnisvoll ist, was ich irgendwie mit einem Schatten verbinde. Außerdem bin ich meistens komplett schwarz angezogen“, erläutert er.
Aufgewachsen ist Marco in Plochingen und wohnt dort bis heute in seinem Elternhaus (dieser Lifestyle scheint unter DJs durchaus beliebt zu sein, siehe Konstantin Sibold). Nach dem Abi hat er in Nagold Textilmanagement studiert, da er schon nebenher in einem Modeladen gearbeitet habe. Direkt nach seinem Abschluss ist er in einer Handelsagentur für Mode eingestiegen und leitet seither den süddeutschen Betrieb für das dänische Label Minimum. Kollektionsmeetings, Messen und die Fashion Week gehören dabei zu seinem daily Business. Dafür arbeitet er auch gut und gerne 40 bis 50 Stunden die Woche, erzählt uns unser 0711er. Aber er werde seinen Workload der Musik zuliebe runter schrauben (müssen). Denn seine Urlaubstage gingen dieses Jahr einzig und allein dafür drauf, dass er in der Weltgeschichte rumfliegen und Gigs wahrnehmen konnte.
Vom Schlagzeuger zum Techno-DJ
Wo wir direkt bei Thema Musik wären. Die musikalische Ader habe er wohl mütterlicherseits mit auf den Weg gegeben bekommen, berichtet der DJ und Produzent. Er habe dann als Halbwüchsiger Schlagzeug spielen gelernt (hoppla, noch eine Parallele zu Konsti). Soweit so gut. Bis seine Eltern ihn in die Plochinger Musikkapelle gesteckt haben und wollten, dass ihr Sprössling an den Aufführungen teilnimmt. „Ich hab‘ dann gesagt: ,Ich ziehe doch keine Weste an, wo Plochinger Musikverein drauf steht und trommle zu irgendwelchen Trompeten mit.‘ Das war überhaupt nicht mein Ding.“
Das Auflegen hingegen viel mehr. Mit zarten 16 Jahren wollte er dem coolen Freund seiner älteren Schwester, der einen auf DJ gemacht hat, nacheifern. Das anfängliche Hirngespinst kristallisierte sich aber als ernstzunehmende Passion heraus. So habe er sich von seinem ersten Verdienst seine eigenen CD-Player gekauft. Noch etwas unbeholfen habe er, anstatt illegal Lieder aus dem Internet zu laden, gemixte CDs gekauft und die wiederum in gemixte CDs eingemischt (ok, die Absicht war ritterlich). „Ich hab‘ mich dann gewundert, wieso ich es immer verkacke“, gesteht er lachend. Am Ende des Tages habe er so aber das Auflegen gelernt.
Als die Technoszene in Stuttgart groß geworden ist, war ich mit dabei, würde ich jetzt mal frech behaupten.
Im ToY habe er schließlich Ahmet Tosun kennen gelernt, mit dem er das Techno-Projekt „Crackpots“ ins Leben rief. Nicht zuletzt aufgrund ihres großen Freundeskreises, der auf der Matte stand, sobald die Beiden irgendwo einen Gig hatten, wurden sie immer häufiger gebucht. Wegen musikalischer Differenzen gingen sie nach einer Weile aber wieder getrennte Wege.
Partyreihe und Label in einem: From Another Mind
Abgesehen von einigen Bookings im Lehmann oder den Common-Sense-People-Partys (zugegeben, Konsti verfolgt uns in diesem Beitrag), habe Marco in Stuttgart ein gewisser Sound gefehlt. „Natürlich konntest du weggehen und mit deinen Freunden Spaß haben. Aber dass du gesagt hast: ,Krass, der und der DJ spielt’, das kam vielleicht zwei, drei Mal im Jahr vor.“ Also sei er häufig in Berlin feiern gewesen. Aus diesem Grund gründete er im April 2014 zusammen mit Luigi Urban, besser bekannt als Obscure Shape, die Partyreihe „From Another Mind“ im Romy S. Frei nach dem Motto: „Hauptsache ‘ne geile Party“ und losgelöst von dem Profit-Gedanken, den die meisten Läden bei ihren Bookings an den Tag legen. Die Acts, die sie buchen, kenne kaum jemand, der sich nicht mit der Musik beschäftige: „Von 500 Leuten wissen 50 Leute wer auflegt und 20 kennen tatsächlich ein paar Tracks. Aber die Leute kommen, weil sie wissen, dass die Musik gut ist“, schildert Marco. Das wissen mittlerweile auch die Münchner. Denn ihre Veranstaltungsreihe ist bereits in die Bayrische Hauptstadt expandiert.
Wir wollen Künstler buchen, die nicht Mainstream sind, uns aber inspirieren. Ganz egal, wie viele Facebook-Follower sie haben.
Von Anfang an gab es den Hintergedanken, dass die Reihe auch irgendwann als Plattform fungieren könne, auf der sie ihre eigene Musik rausbringen. „Mit ‘nem eigenen Label bist du unabhängig, du musst dir von niemandem etwas vorschreiben lassen und kannst rausbringen was du willst“, unterstreicht Marco die Vorzüge. Nachdem sich für die Veröffentlichung ihrer ersten Platte kein Label fand, setzten sie den Plan kurzerhand in die Tat um und gründeten mit „From Another Mind“ ihr eigenes Label. Im August 2015 erschien darauf ihre Platte „Nachtblende“. Dass diese direkt so erfolgreich werden würde, hätten sie sich niemals erträumt, offenbart Marco. Dank ihrer Partyreihe hatten sie aber bereits ein gewisses Netzwerk an Leuten, an die sie ihre Tracks schicken konnten. Und dadurch, dass die richtigen Leute die Tracks spielten, seien sie relativ schnell bekannt geworden, erklärt sich unser 0711er bescheiden den Erfolg. Nun steht bereits die vierte Platte in den Startlöchern und kommt vermutlich im Frühjahr nächsten Jahres in die Plattenläden eures Vertrauens.
Als unsere erste Platte rauskam, haben wir gedacht, dass wir sie auf unseren Partys verschenken müssen. Aber dann war sie sofort ausverkauft.
Dreamteam: SHDW und Obscure Shape
Seit rund zwei Jahren produzieren Marco und Luigi nun gemeinsam Musik und ergänzen sich dabei spitzenmäßig. Dabei war die erste Studio Session eigentlich just for fun. Im Zuge dieser ist aber prompt der erste gemeinsame Track entstanden: „Nur Die Sonne War Zeuge“. Das sei auch immer noch sein Lieblings-Track, „weil da so viele Emotionen drin stecken“, führt Marco aus. Und dann macht er seinem Compagnon beinahe eine Liebeserklärung: „Bei Lui und mir ist es wirklich wie wenn der Topf seinen Deckel gefunden hat, weil es unglaublich gut harmoniert. Ich glaube, so etwas gibt es nicht oft.“ Vermutlich nehmen die Leute sie deshalb auch mehr als Duo wahr, obwohl sie das streng genommen gar nicht sind. Aber das gemeinsame Reisen sei sowieso viel cooler, so Marco. „Wir ergänzen uns auch als DJs, weil er noch mal andere Tracks spielt als ich und das alles noch lebendiger macht.“
Mit dieser Möglichkeit, dass wir jetzt so spielen dürfen, wie wir gerade spielen, haben wir niemals gerechnet.
Und was sagt die Familie dazu? Die sei anfangs ein bisschen skeptisch gewesen, gesteht er. Beim ersten Versuch versemmelte er damals sein Abi, weil er statt zu lernen viel lieber aufgelegt habe. Deswegen standen sie mit seiner Musik vorerst etwas auf Kriegsfuß. Aber mittlerweile habe er die volle Rückendeckung und seine Eltern haben ihn sogar – stolz wie Oskar – aufs SEMF begleitet. Die Familie sei auch der Grund dafür, dass Marco noch nicht von zu Hause ausgezogen sei. Vor allem zu seiner Großmutter pflege er ein sehr enges Verhältnis. „Sie ist mein Herzensmensch“, erzählt er. Wenn er wegziehen würde, würde es ihr das Herz brechen. Also bleibt er solange es geht. Wobei die Flugverbindungen von Stuttgart aus katastrophal seien. „Ich glaube, früher oder später kommst du nicht mehr drum herum, wenn du auf ‘nem gewissen Level mitspielen willst“, erläutert Marco.
Scheiß drauf, wie groß wir vielleicht mal werden – unsere Partys in der Romy S. wollen wir nie aufgeben.
Zum Thema Zukunftspläne hat er eigentlich nur eins zu sagen: „Mein Ziel ist es, den Traum weiterleben zu dürfen und auch noch in 20 Jahren sagen zu können: ,Fett, dass ich noch Musik machen darf und Leute mit meiner Musik glücklich machen kann.‘“ Zu diesem Plädoyer ist absolut nichts mehr hinzuzufügen. Danke, Marco!
SHDW @ FACEBOOK
SHDW @ SOUNDCLOUD
NAME … Marco Bläsi – ALTER … 25
HERKUNFT … Plochingen – STADTTEIL … Plochingen
WAS ICH SO MACH’ … DJ/Produzent, Textilbetriebswirt BTE
MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST … Romy S.
GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … Leckerem Essen
MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … Meinen Jungs – Luigi, Benedikt & Nicolai – freitags und samstags auf unseren eigenen Partys und sonntags dann das Wochenende mit meiner Freundin ausklingen lassen.
ICH KANN NICHT OHNE … Kaugummis. Ich muss immer eine Packung parat haben.
DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … Indien. Das Land hat mich ziemlich fasziniert.
DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … Meinen Kleiderschrank aufräumen und nach Farben sortieren.
ICH WÜRDE NIEMALS … Fallschirmspringen – für kein Geld der Welt springe ich aus einem Flugzeug!
ICH LIEBE AN STUTTGART … Dass hier meine Familie, Verwandten und Freunde wohnen.
ICH HASSE AN STUTTGART … Den Flughafen. Leider sind die Verbindungen hier echt mangelhaft.
WENN NICHT STUTTGART, DANN … Köln! Tolle Stadt & Menschen.
DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Kopfhörer – abgesehen von den Kaugummis.
WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … E-Mails & Whats-App Nachrichten beantworten.
SO KRIEGT MAN MICH RUM … Sushi vom QQ.
WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … meiner Freundin
UND ZWAR WO? … Asia zur Krone in Esslingen – bester Vietnamese im ganzen Umkreis!
STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … Sei mal ab und zu etwas entspannter! 😉