In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.
Ab sofort gibt es neben unseren regulären „0711ern“ auch das „0711er Doppelpack“. In diesem stellen wir euch zwei Stuttgarter vor, die nicht nur auf eigene Faust können, sondern die Stadt mit vereinten Kräften ein Stück l(i)ebenswerter machen.
Vergangene Woche haben wir mit Alexandra Steinmann die eine Hälfte des Duos „BLUM“ kennen gelernt. In Teil 2 unseres Doppelpacks erzählt uns die Stuttgarterin Mascha Hülsewig, wie der Name FRAU BLUM entstanden ist, was es mit ihren Uniformen auf sich hat und was Kaffeemaschinen im weitesten Sinne mit Vibratoren gemein haben.
Ein Text von Maren mit Fotos von Saeed
Wie wir letzte Woche bereits erfahren haben, war die gebürtige Stuttgarterin Mascha zusammen mit Alex in der Waldorfschule an der Uhlandshöhe. Diese Freundschaft, die dort in jungen Jahren entstand, sollte bis heute bestehen bleiben.
Nach dem Abi ging’s für Mascha schnurstracks nach „bella Italia“. Genauer gesagt in die italienische Hauptstadt. Dort hat sie (wie ihre Freundin Alex) Kunst studiert. Wobei ihr währenddessen schon klar gewesen sei, dass sie eigentlich gar keine Künstlerin werden wolle. In Rom habe sie ihren damaligen Mann kennen gelernt und schließlich ihr erstes Kind bekommen. Nach elf Jahren „la dolce vita“ ist sie zurück nach Stuttgart gekehrt – alte Liebe rostet eben nicht. „Ich bin ein riesiger Stuttgart-Fan, für mich war das ein richtiges Nachhausekommen“, gesteht sie. Vor allem als Mutter eines kleinen Kindes sei es ein wahres „Schlaraffenland“ gewesen, weil die Lebensstandards hier vergleichsweise hoch seien.
Schnell fand sie ihren Traumjob im Marketing eines Stuttgarter Varietés. Im Grunde hätte alles so weiter laufen können, „trotzdem fehlte irgendetwas“. Als Alex’ Mann den beiden Freundinnen schließlich den Floh mit der Erotik ins Ohr gesetzt hat, seien sie sofort Feuer und Flamme gewesen, erzählt die Stuttgarterin. „Wir waren anfangs etwas naiv, weil wir dachten: Das Konzept ist wahnsinnig gut, die Leute rennen uns die Bude ein, wenn wir aufmachen.“ Dem war dann nicht so – zumindest vorerst. „Wir haben festgestellt, dass das ein Thema ist, mit dem wir ganz normal umgehen können, weil wir uns auch so viel damit auseinander setzen. Aber gesellschaftlich gesehen ist das eben nicht der Fall“, erläutert sie. Die Leute bräuchten einfach Zeit, um sich überlegen zu können: Komme ich über diese Schwelle oder nicht?
Ganz viele sagen: Ich bin hier schon zehn Mal dran vorbei geschlichen, aber hab’ mich nicht rein getraut.
Ob dieser Umstand auch ein kleinwenig der schwäbischen Mentalität geschuldet ist, wollen wir wissen. „Ich glaube nicht, dass die Schwaben verklemmter sind, als andere. Hier passiert so einiges, wovon man keine Ahnung hat“, antwortet sie mit einem Augenzwinkern. Die Schwaben seien vielleicht anfangs etwas zögerlicher. „Aber wenn der Schwabe erst mal Vertrauen gefasst hat, dann ist er echt ‘ne treue Seele“, fährt sie fort.
Eine Sache brennt uns jetzt aber noch unter den Nägeln: Hinter dem Namen vermutet man alles andere als eine Erotik-Boutique. Wie seid ihr darauf gekommen? Es sollte ein Name sein, den jeder auf Anhieb versteht und der gleichzeitig etwas Biederes und Bodenständiges vermittelt, so Mascha. „Das Lustige war die Reaktion von den Leuten: ,Du machst ‘nen Sexshop auf und wie soll der heißen? FRAU BLUM?‘“ Den Personen, die von Maschas Vorhaben von vornhinein eher mäßig begeistert waren, fiel aufgrund der „anständigen“ Bezeichnung ein Stein vom Herzen, berichtet sie. Mit der gleichen Intention gehen übrigens auch ihre schmucken Uniformen einher: „Wir wollten nicht, dass man hier rein kommt und ‘ne halb nackige Bedienung vor sich hat“, erklärt Mascha. Außerdem möchten sie sich mit ihrer Bekleidung ein stückweit zurücknehmen, fügt sie hinzu. „Im Laden stehen ja auch nicht unsere Bedürfnisse im Vordergrund, sondern die Anliegen unserer Kunden.“
Die Erotik in Kombination mit dem Namen „FRAU BLUM“ vermutet niemand. Und das gab den Leuten immer ein Vertrauen.
Bevor es ans Eingemachte ging, haben sie viel im Internet recherchiert, um zu schauen was im großen, weiten Feld der Erotik gar nicht geht. Und es geht ziemlich viel gar nicht, findet die 50-Jährige. „Weil es einfach schlimm aussieht und die Materialien hochgradig giftig sind“, erläutert sie. Die Hersteller, die ihren Qualitäts-Ansprüchen genügt haben, haben sie sich schließlich rausgepickt und genauer unter die Lupe genommen. So waren sie auf sämtlichen Messen und sind zum Teil quer durchs Land gefahren, um sich die Manufakturen vor Ort anzuschauen.
Um herauszufinden, was der heimische Markt zu bieten hat, haben sie In der Findungsphase eine Tour durch alle (!) Sexshops gemacht, die die Mutterstadt so hergibt. Schnell war klar, was sie anders machen wollen. „Das fängt dabei an, wie du in den Laden reinkommst und empfangen wirst. Sitzt da beispielsweise jemand am Tresen, feilt sich die Nägel und ist total genervt, dass schon wieder ein Kunde rein kommt?“ Oftmals werde man schon beim Betreten des Ladens mit Dingen abgeschreckt, die man eigentlich gar nicht sehen wolle. Bei ihrer eigenen Boutique sei ihnen deshalb wichtig gewesen, dass es hell und freundlich ist und man sich auf Anhieb wohlfühlt. (Mission geglückt, können wir an dieser Stelle anmerken.)
Ein erfülltes Liebesleben ist gesund für Körper und Geist. Es lohnt sich, sich damit zu beschäftigen.
Das Interessante im Bereich Erotik und Pornografie sei, dass es immer auf die männliche Phantasie ausgerichtet sei, bemerkt Mascha. „Was nicht bedeutet, dass nicht auch Frauen dafür zugänglich sind. Nur für Männer ist das irgendwie gesellschaftsfähiger.“ Mit ihrem einzigartigen Konzept wollen sie Frauen wie Männer gleichermaßen ansprechen. Die große Emanzipationswelle sei enorm wichtig gewesen, damit Frauen gesellschaftlich einen Stellenwert erlangen. Als Teil der darauffolgenden Generation konzentrieren sie sich nun auf das Miteinander. „Was uns heute wichtig ist, ist, dass es wieder zusammen geht. Dass die Geschlechter einen guten Weg miteinander finden und eine gemeinsame Kommunikation.“ Und diese können sie bei FRAU BLUM finden, erklärt Mascha.
Jeder lebt seine Sexualität und seinen Körper anders, weil wir auch alle anatomisch und geistig unterschiedlich sind. Es ist nur wichtig für sich herauszufinden, was man mag und was nicht. Das ist eigentlich schon alles.
Trotz ihrer Offenheit dem Thema Erotik gegenüber, musste sich Mascha dennoch an Eins gewöhnen: Selber im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Zwar lassen Mascha und Alex bei ihren Abendveranstaltungen den Experten den Vortritt, doch bei Gelegenheit stellen sie sich mit ihrem pinkfarbenen Bauchladen auch selber auf die Bühne und präsentieren einige ihrer „Erwachsenen-Spielzeuge“. „Bei aller Hemmungslosigkeit ist das dann doch noch mal ‘ne Überwindung, sich vor über 60 Leuten hinzustellen und Sextoys zu erklären“, offenbart sie. Die dafür erforderliche Leichtigkeit und Lockerheit habe sie sich bei Alex abgeschaut. Das Aha-Erlebnis hatte sie aber auf einer Fachmesse: „Du schlitterst von Stand zu Stand, einer schlimmer als der andere, siehst aber auf der ganzen Messe nur Geschäftstypen im Anzug.“ Und die sprechen völlig nüchtern über diese ganzen Sachen – ob Kaffeemaschine, Schlagbohrer oder Vibrator, das Produkt spiele dabei keine Rolle, schildert Mascha fasziniert.
Wo wir schon mal beim Thema wären: Die „BLUMS“ laden herzlich zu ihren anstehenden Toy-Abenden ein. Diesen widmet das erfahrene Fachpersonal (alias Mascha und Alex) nun erstmalig eine eigene Bühne. Gefasst machen kann man sich auf eine Entdeckungsreise der besonderen Art, die durch die Welt der verschiedensten Lovetoys führt. Eine ordentliche Portion Humor darf dabei natürlich nicht fehlen.
TOY-ABEND @ FRAU BLUM
AM 28.10. & 09.12.2016
UM 19 Uhr
Herzlichen Dank für diese spannenden Einblicke, liebe Mascha! Auf dass ihr Stuttgart mit eurer liebenswerten Art weiterhin bereichert.
NAME … Mascha Hülsewig – ALTER … 50
HERKUNFT … Stuttgart – STADTTEIL … Ost
WAS ICH SO MACH’ … Weiterbilden in alle Richtungen
MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST … FRAU BLUM natürlich 🙂
GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … Dunkler Schokolade
MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … Meinem Liebsten
ICH KANN NICHT OHNE … Mein Handy und Kaugummis
DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … Venedig, für mich ein Weltwunder
DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … Selbstgespräche
ICH WÜRDE NIEMALS … Im Milaneo einkaufen
ICH LIEBE AN STUTTGART … Dass es hier so viele verrückte und kreative Menschen gibt
ICH HASSE AN STUTTGART … Die vielen Baustellen!
WENN NICHT STUTTGART, DANN … Es gibt für mich gerade keine Alternative
DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Ein Buch und Lippenstift
WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … Kaffee
SO KRIEGT MAN MICH RUM … Mit Freundlichkeit
WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … Ann-Marlene Henning
UND ZWAR WO? … „Le Petit Coq“ zum Cocktailtrinken
STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … Stay Tuned!
1 Comment
Hei Mascha, herzlichen Glückwunsch. ….ich wusste schon, seit du mir von Deinem Projekt am Klassentreffen erzählt hast, das diese Idee funktioniert. Ich verfolge wöchentlich eure Events im Face Book von der Schweiz aus und finde Eure Ideen, Vorträge, Lesungen, Schulungen etc.etc. Sack stark..
Leider hatte ich bei meinen letzten kurzfristigen Trips nach Stgt. Nicht die Zeit bei Euch vorbei zu schauen. Muss dies aber glaub als “Priorität eins “beim nächsten Stuttgart Besuch planen.
Macht weiter so und Grüsse auch an Alex ( falls sie sich noch an mich erinnern mag) ?
Liebs Grüssli Klaus Brucker