In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.
Ein Holzapfel kommt selten allein, deshalb stellen wir euch diese Woche Moritz Holzapfel vor. Der 32-Jährige sorgt als Facility-Manager und Head-of-Kehrwisch dafür, dass in Stuttgarts kleinem Großstadtdschungel alles rund läuft. Bei einer Stulle und den zweifelsohne besten Kirschen, die wir je gegessen haben, plauderte der Vollblut-Gastronom und Teilzeit-Scherzkeks ein wenig aus dem Nähkästchen.
Ein Text von Alessandra mit Fotos von Saeed.
Um zu verstehen, aus welchem Holz der 32-Jährige geschnitzt ist, springen wir zunächst ein paar Jährchen zurück in Moritz‘ Kindheit und tauschen Großstadtgetümmel gegen Dorfidylle. Gemeinsam mit Schwester Nina sagt Moritz im beschaulichen Breitenstein bei Holzgerlingen Fuchs und Hase ‘Gute Nacht’ und genießt es, das tun und lassen zu können, wonach ihm gerade der Sinn steht.
Nach einer tadellosen Grundschul-Karriere, verschlägt es Moritz aufs Gymnasium. In der 8. Klasse beschließt unser 0711er der Woche, dass es an der Zeit ist, seiner „laziness“ mehr Freiraum zu gewähren. Das „Dolcefarniente“ hat jedoch eine nicht unerhebliche Auswirkung auf seine Leistungen, wie Moritz verrät: „Meine Noten sind damals rapide nach unten gegangen.“ Und so wechselt er auf die Realschule, wo er im Alter von 16 Jahren – Pflichtpraktikum im Kindergarten sei Dank – zum ersten Mal „Arbeitsluft“ schnuppert.
Der erste Tag war der Horror. Die ganzen Kiddies sind nur so von mir weggestürmt und haben geschrien. Aber es hat keine zwei Stunden gedauert, bis das Eis gebrochen war und sie mir zu fünft am Bein klebten.
Am Rosenmontag passiert dann der Alptraum eines jeden Erziehers: Zur Feier des Tages habe es ein großes Frühstück gegeben, erinnert sich Moritz. Die Tische seien mit Teelichtern geschmückt gewesen und gemeinsam mit den Kids habe er auf einem der Ministühle gesessen, die Knie hinter den Ohren und habe an nichts Böses gedacht, als plötzlich das gelbe Tüllröckchen der kleinen „Biene Maja“ unweit des Praktikanten Feuer fing und dieses sich rasend schnell auf die Window-Color-Flügelchen ausbreitete.
Das komplette Kind hat gebrannt und ich saß wie hinbetoniert da, völlig planlos und wie versteinert.
Geistesgegenwärtig sei eine der Erzieherinnen herbei gestürmt und habe das Feuer mit ihren Händen ausgeschlagen. Ende gut, alles gut: „Die beiden wurden dann von einem Hubschrauber abgeholt und ins Krankenhaus gebracht. Das Kind hat keinen Kratzer abbekommen und die Erzieherin zum Glück keine schlimmeren Verbrennungen erlitten!“
Ich konnte mir danach aber tatsächlich nicht vorstellen, Kindergärtner zu werden.
2002 macht Moritz seinen Realschulabschluss und beginnt direkt im Anschluss eine Ausbildung zum Speditionskaufmann bei einer internationalen Möbelspedition. Ergo: er kümmert sich um Dinge wie Logistik, Verzollung und darum, Kunden, die auf ihr Sofa warten, am Telefon zu vertrösten.
Irgendwann hatte ich da keine Lust mehr drauf, weil du im Endeffekt die ganze Zeit lügen musstest.
Bis eines schönen Tages ein Bekannter auf ihn zukommt und ihn fragt, ob er nicht Lust hätte, in seiner Modeagentur zu arbeiten. Obwohl die Modebranche Neuland für den 32-Jährigen ist, nimmt er die Herausforderung an. „Und so habe ich angefangen als Handelsvertreter für Marken wie Vans, Eastpak oder Reef zu arbeiten“, erzählt der Cafébesitzer.
Zwei Jahre später wird es minimalistischer für Moritz, er fängt in einer neuen Agentur an und vertritt von nun an vor allem skandinavische Mode: Samsøe & Samsøe, Wood Wood, Stine Goya, Revolution, Minimum und Co. gehören ab sofort zu seinem Repertoire. 2012 wagt Moritz dann den Schritt in die Selbstständigkeit. Gemeinsam mit seinem ehemaligen Chef arbeitet er im Kollektiv: der eine macht Akquise, der andere ist für Kundentermine im Showroom zuständig. Im Januar 2013 kommt Nina aus München zurück und hilft ihrem Bruder in der Agentur, bis beide entscheiden sich aus dem Modebusiness zurückzuziehen und neue Wege zu gehen.
Wir wollten erstmal übergangsweise im Café Bohème arbeiten und als irgendwann klar war, dass die Besitzer den Vertrag nicht verlängern werden, ging alles ratz fatz: Wir haben die Ausschreibung gesehen, unser Konzept eingereicht und wurden genommen.
Seit mittlerweile eineinhalb Jahren bereichert die grüne Oase der Fluxus-Passage nun unseren Alltag: Ob durchzechte Nächte oder entspannter Kaffeeklatsch, das Holzapfel ist so vielseitig wie seine Besitzer. Die beiden seien ein eingespieltes Team, wie Moritz verrät: „Nina macht viel administrativen Kram, was mir sehr entgegenkommt und ist unsere Kuratorin. Das heißt, sie sorgt regelmäßig dafür, dass Vernissagen oder Ähnliches bei uns stattfinden. Ich kümmere mich um die DJ-Acts am Wochenende, bin für die Technik zuständig und nehme mich auch häufiger mal kleineren Reparaturen an.“
Eine Zeit lang hab‘ ich gefühlt jeden Tag einen Kehrwisch kaufen können. Keine Ahnung, woran das lag, aber die sind ständig auf mysteriöse Weise verschwunden. Vielleicht hat irgendeiner von unseren Mitarbeitern zu Hause nen Kehrwisch-Handel gestartet. Ich hab immer drei gekauft und in der nächsten Woche waren sie wieder weg. Aber das Problem hab‘ ich mittlerweile im Griff.
Die Kehrwischkrise unter Kontrolle, kann Moritz sich nun wichtigeren Dingen widmen: Zum Beispiel seinen Zukunftsplänen. Wir fragen uns und ihn, wie diese denn nun aussehen? „Erstmal muss ich meine wunderschöne Dachterrasse ausbauen“, antwortet Moritz, schiebt den Spaß aber beiseite und fährt fort: „Bis zum 30. Juni 2018 bleiben wir natürlich erst mal im Fluxus“, was dann kommt, wisse er noch nicht. „Es wäre natürlich schön, wenn der Vertrag verlängert würde und wir hier weitermachen könnten“, sagt der 32-Jährige. Denn das Fluxus sei, neben dem ganzen Shoppingmall-Einheitsbrei, eine wahnsinnige Bereicherung für Stuttgart.
Das Konzept der Passage tanzt aus der Reihe und das ist auch gut so. Du kannst hier in einer entspannten, ruhigen Atmosphäre Sachen finden, die es nicht überall gibt.
Den Bescheid, ob es zu einer Verlängerung der Passage in der Calwerstraße komme, bekomme man jedoch immer recht kurzfristig, so Moritz. Bis dahin heißt es für Holzapfel-Liebhaber also abwarten und Tee trinken. „Wir würden gerne weitermachen, werden aber auf keinen Fall auf Teufel komm raus das nächste Projekt starten, falls es mit dem Fluxus nicht weitergehen sollte“, verrät Moritz.
Einen Plan B hat unser Scherzkeks der Woche natürlich auch schon parat: „Wenn es nicht weitergehen sollte, seht ihr mich bald auf „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer“, dann mache ich einen Biergarten in Thailand auf. Direkt am Strand!“
Wenn das kein wasserdichter Plan ist, wissen wir auch nicht. Lieber Moritz, wir sagen danke für ein Plauderstündchen mit Lachmuskeltraining und hoffen, dass wir für unseren nächsten Drink von dir nicht erst nach Thailand fliegen müssen.
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NAME … Moritz Holzapfel – ALTER … 32
HERKUNFT … Stuttgart – STADTTEIL … Süd Süd Süd
WAS ICH SO MACH’ … mal dies, mal das… im Endeffekt alles!
MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST … Bad Berg oder mein Sofa/Bett
GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … ganz viel Essen
MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … Jason Bourne auf Gangsterjagd
ICH KANN NICHT OHNE … Lachen
DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … ein Wochenende aus meiner Sicht im Zeitraffer
DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … extrem Relaxen und mir alte Bud Spencer Filme reinziehen.
ICH WÜRDE NIEMALS … zu spät ins Geschäft kommen
ICH LIEBE AN STUTTGART … die kurzen Wege und dass man überall Leute trifft die man kennt
ICH HASSE AN STUTTGART … die hohen Mietpreise
WENN NICHT STUTTGART, DANN … Bora Bora
DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … irgendwelche Gadgets
WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … total abgehetzt unter die Dusche springen
SO KRIEGT MAN MICH RUM … wie Rum?
WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … Vicco von Bülow
UND ZWAR WO? … Il Pomodoro Süd (Filderstrasse)
STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … Ich lieb dich so wie du bist, aber bitte leg dir endlich ein Meer zu!