In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.
Dass Kunst ein überaus geeigneter Weg ist um zu helfen, beweist der Designer, Grafiker und Autor Thomas Lupo allemal: Der Stuttgarter ist der Initiator der Initiative ARTHELPS. Dahinter stecken viele kreative Köpfe, die Menschen in benachteiligten Lebenssituationen mit Hilfe von Kunstprojekten unterstützen. Wir trafen den Design Director mit der ausgeprägten sozialen Ader in der ARTHELPS Base in Fellbach.
Ein Text von Maren mit Fotos von Felix
Ein 0815-Leben wollte er nie führen, verrät uns Tom, während er in Lookbooks stöbert, um uns das letzte große ARTHELPS Projekt näher zu bringen. Zu sehen sind Models, deren Kleidung mit dem Camouflage-Muster im Hintergrund zu verschmelzen scheint. „UN/HIDE“ lautet der Titel der Kampagne, deren Ursprung in einem Camp in der Nähe der irakischen Stadt Mossul entstand. Vor Ort wollte das ARTHELPS-Team Plätze schaffen, an denen sich die Kinder und Jugendlichen kreativ entfalten und das Geschehene verarbeiten können. In Workshops konnten sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen, berichtet Tom. Heraus kamen die unterschiedlichsten Symbole, die ihre Träume, Wünsche und Sehnsüchte widerspiegeln – vom Lieblingshaustier, über die Wunschgitarre bis zum Traum vom Fliegen. Nach der Rückkehr wurden die Zeichnungen zu einem Camouflage-Muster für eine ganz besondere Modekollektion eingearbeitet. Entgegen der ursprünglichen Intention soll es die Menschen nicht verstecken, sondern ihre Gefühle sichtbar machen. Die Erlöse aus dem Verkauf der Kleidung wandern in Form von Hilfsmaßnahmen zu den Workshop-Teilnehmern zurück. „Hilfe zur Selbsthilfe“, nennt Tom das.
Ich persönlich glaube, dass jeder kreativ ist. Jeder Mensch hat das in sich drin, man muss es nur rauskitzeln.
Das eigene Talent für andere Menschen einsetzen
Aber wie kommt man überhaupt auf diese Idee, wollen wir von unserem 0711er wissen und spulen dafür mal eben sechs Jahre zurück: Nach seinem Grafik-Design-Studium in Pforzheim, stand der gebürtige Stuttgarter bereits mit einem Fuß in der Werbewelt. Doch ihn packten die Zweifel: „Soll ich jetzt wirklich in diese Branche reinwachsen und dort alt werden?“ Man bleibe eben meistens an der Oberfläche und mache Dinge schön. Aber es ginge selten richtig in die Tiefe und man würde auch nicht wirklich nachhaltig arbeiten, erklärt er, ohne dabei wertend zu klingen. Auf jeden Fall Grund genug für ihn, erst mal die Reißleine zu ziehen. So machte er sich mit Koffern randvoll gepackt mit Farben, Stiften, Pinseln und Co. auf nach Brasilien. Inmitten einer Favela verbrachte er – einhergehend mit dem Verzicht auf jeglichen Luxus – ein halbes Jahr damit, den Kids die verschiedensten Kreativ-Workshops zu geben. Dort habe er das erste Mal seine Fähigkeiten und das, was er gelernt hat für Menschen eingesetzt, die nicht die gleichen Bildungsmöglichkeiten wie wir haben und kreativ nicht gefördert werden. „Ich fand es spannend mal ohne kommerzielle Hintergedanken auszuprobieren, was ich aus den Kids alles rausholen kann“, berichtet er.
Wir lernen so viel von den Kids mit denen wir arbeiten: Frei zu sein und verspielt zu denken – das ist auch für meinen Beruf als Designer enorm wichtig.
Die Arbeiten, die dabei entstanden dokumentierte er in seinem Buch „Anleitung zum Ausbrechen“. Dabei hat der Grafiker seinem Beruf alle Ehre gemacht und ein wahres Designschätzchen hervorgezaubert, für das er neben dem Deutschen Fotobuchpreis und dem Red Dot Design Award auch noch sämtliche andere Preise absahnte. „Das hat mir gezeigt, dass ich das, was ich gelernt habe, also Design und Kunst mit einem guten Sinn verbinden – und damit Aufmerksamkeit generieren kann.“ Nach seiner Rückkehr sei es für ihn deswegen wichtig gewesen, dort weiter zu machen. So steht das Vorwort des Buches auch am Ende, „denn für mich war es eigentlich ein Anfang“.
Der Blick über den Kesselrand hinaus öffnete ihm die Augen: Dadurch habe er eine ganz neue Perspektive auf sein Leben in Stuttgart bekommen und gemerkt, dass die Möglichkeiten etwas zu machen noch lange nicht ausgeschöpft sind. Somit war der Grundstein für ARTHELPS gelegt. Nach und nach kam eine beachtliche Anzahl an ehrenamtlichen Helfern zusammen, aus der Idee wurde erst ein Verein und später eine Stiftung gegründet. Es folgten viele weitere große und kleinere Projekte weltweit – darunter in Südafrika und Afghanistan, die zum Teil mehrere Jahre laufen. Die „ARTHELPER“ sind das Kapital der Initiative: „Die Leute spenden ihre Fähigkeit und ihre Zeit und das kann viel mehr wert sein als Geld.“ Aufgrund der Vielzahl an Projekten, seien sie allerdings chronisch unterbesetzt, merkt Tom an. Hier also der Aufruf: Jeder, der sich in irgendeiner Form einbringen möchte, ist herzlich willkommen!
Mir ist bewusst, dass wir mit unseren Projekten nicht die ganze Welt verändern können. Aber ich glaube wir können die Welt von einem Menschen ein Stück weit verändern.
Kunst für ein besseres Miteinander
Mit ihren Projekten wollen die ARTHELPER „Menschen aus benachteiligten Lebenssituationen“, wie Tom es ausdrückt, ermutigen und Hoffnungen freisetzen – vor allem in Krisengebieten. Hinsichtlich der anvisierten Destinationen ließen sie sich in der Regel von ihrem Bauchgefühl leiten – so auch bei dem angesprochenen Projekt im Irak: „Wir hatten das Gefühl, dass wir dort hin müssen.“ Bei der anschließenden Vorbereitung hingegen wird nichts dem Zufall überlassen. Die nahm bei jenem Unterfangen ein ganzes Jahr in Beschlag. Er könne sein Team schließlich nicht in gefährliche Situationen bringen, erklärt Tom. Neben ausgiebiger Recherche werden Kontakte zu Menschen vor Ort geknüpft. Dann komme man in Gespräche und so öffnen sich immer mehr Türen.
Er sei der festen Überzeugung, dass Kunst hilft. Die Kids trauen sich zu Beginn nichts zu und bauen nach und nach Selbstbewusstsein auf, führt Tom aus. „Du beschäftigst dich mit dir und lernst dich dadurch selber besser kennen.“ Der wichtigste und schwierigste Part dabei: Eine Atmosphäre zu schaffen, die den Leuten die Angst nimmt, etwas falsch zu machen. Erst dann wäre der nötige Freiraum da, der es ermöglicht Neues entstehen zu lassen. Neue Perspektiven und gestärktes Selbstbewusstsein sollen dem „inneren Menschen“ nachhaltig helfen, so das Credo der Initiative. „Uns ist es dabei ganz wichtig, dass wir eine Art Partnerschaft aufbauen“, erläutert unser 0711er. Bei ihren Projekten arbeiten sie deshalb immer mit Locals zusammen. So sind sie gerade dabei, Kreativzentren in dem Camp im Irak aufzubauen.
Kunst hat auch etwas meditatives, du lässt alles los, was um dich herum ist und kannst dich darin verlieren.
Wohl gemerkt, Tom macht das alles ehrenamtlich nebenbei. Hauptberuflich arbeitet er als Design Director bei Jung von Matt. Das funktioniere aber nur, weil sich das Engagement auf viele Schultern verteile. Und weil seine Frau ihn tatkräftig unterstützt, „ohne sie wäre ich schon oft auf die Schnauze gefallen“, verrät er schmunzelnd. Sein Wunsch für die Zukunft? „Die Organisation so stabil aufbauen, dass es ein großes Schiff wird, an dem viele teilhaben können. Sodass jeder, der so tickt wie wir, seinen Platz findet und wir gemeinsam etwas auf die Beine stellen, womit Menschen geholfen wird – das wäre mein Traum.“
Hut ab für euer unermüdliches Engagement, lieber Tom und all ihr anderen wunderbaren ARTHELPER da draußen! Auf dass noch viele weitere kreative Projekte folgen, die Brücken von Herz zu Herz schlagen.
ARTHELPS @ WEBSITE
ARTHELPS @ FACEBOOK
NAME … Thomas Lupo – ALTER … 36
HERKUNFT … Stuttgart – STADTTEIL … —
WAS ICH SO MACH’ … Design & Kunst
MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST … genau dort, wo meine Lieben gerade sind
GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … Bananen und guten Ideen
MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … viel Schlaf
ICH KANN NICHT OHNE … Kunst und Kreativität
DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … Menschen, die ihre eigenen Fähigkeiten entdecken und sich dabei verändern
DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … Experimente
ICH WÜRDE NIEMALS … „nie“ sagen
ICH LIEBE AN STUTTGART … dass die Stadt nicht zu groß ist
ICH HASSE AN STUTTGART … viele oberflächliche Nichtigkeiten
WENN NICHT STUTTGART, DANN … woanders
DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Stifte & Notizbuch
WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … dankbar sein
SO KRIEGT MAN MICH RUM … Bananen und guten Ideen
WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … natürlich meiner Frau Yasemin
UND ZWAR WO? … an einem geheimen Ort
STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … sei nicht geizig – du hast viel zu geben