In der Serie „0711er der Woche“ stellen wir euch jeden Montag einen Stuttgarter vor, den man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen auf verschiedenste Art bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt. Nachdem wir mit dem jeweiligen 0711er etwas Zeit verbringen, verewigen sie sich in unserem 0711er Buch.
Aichtal. Stuttgart. New York. So oder so ähnlich sieht der Weg unseres 0711er der Woche aus. Naja, zumindest fast. Noch wohnt er nämlich im Schwabenländle. Tim Bengel ist Künstler. (Das nette kleine Wortspiel mit seinem Nachnamen sparen wir uns an dieser Stelle.) Für alle, die ihn noch nicht kennen sollten: Der 24‐Jährige macht Kunst aus Sand und Gold. Alles, was er dazu braucht, ist eine Leinwand, ein wenig Klebstoff und – richtig, Sand und Gold. Wir haben uns in seinem Lieblingscafé auf ’ne Limo getroffen und mit ihm über Kunst und die Welt gesprochen.
Ein Text von Alessandra mit Fotos von Felix
Nach seinem Abi stand für Tim fest, dass er „irgendwas Kreatives“ machen wollte. Was genau, schwebte damals allerdings noch in einer Wolke der Ungewissheit über ihm. Bis die sich verzog, brauchte es eine Ausbildung zum Modeschneider bei HUGO BOSS und ein duales Studium im Bereich Gesundheitsmanagement. Nach diesen beiden weniger erfüllenden Versuchen, führte ihn sein dritter und letzter Anlauf schließlich zum Studium der Kunstgeschichte und Philosophie nach Tübingen. Alle guten Dinge sind ja bekanntlich drei.
Zurzeit bin ich aber auch hier nicht ganz so fleißig dabei, weil‘s mit meinen Bildern einfach so gut läuft.
Apropos Bilder – wie kommt man eigentlich dazu, Kunst aus Sand und Gold zu machen? „Ich wollte etwas machen, dass es so noch nicht gab – mich von der Masse abheben“, erzählt Tim. Also habe er überlegt und überlegt und eines Nachts sei er dann aufgewacht und habe es gewusst: „,Sand – das hat noch keiner gemacht.‘ Und dann hab‘ ich mir das zum Glück aufgeschrieben und am nächsten Tag bin ich aufgewacht und dann stand da ,Sand‘ auf einem Zettel. ,Okay‘, hab’ ich mir gedacht, ,das probier’ ich mal‘. Und so hat das alles angefangen“, erinnert sich der 24‐Jährige zurück.
2014 habe er dann „just for fun“ sein erstes Bild gemacht. Sein Motiv: Ein Urlaubsfoto von seinem Vater. Kaum bei Facebook hochgeladen, habe er auch schon Komplimente und Anfragen von Bewunderern bekommen, die unbedingt eines seiner Bilder haben wollten. Das sei für ihn Grund genug gewesen, an sein erstes Bild anzuknüpfen. „Irgendwann wurde ich dann zu Antenne 1 eingeladen. Dort hab’ ich einen Aufruf gestartet, bei dem ich mein nächstes Gesicht gesucht habe“, erzählt Tim. Daraufhin haben sich dann 300 Leute gemeldet, aus denen er schließlich Lockenkopf Amanda auswählte.
Und dann kam irgendwie eins zum anderen.
„Ich war gerade mit Freunden in Barcelona, wache morgens auf, schaue auf mein Handy und seh’ nur 10.000 neue Follower. Und ich denk nur: ‚Boah, was ist da los?’“ Das war los: Das New Yorker Magazin INSIDER hatte eines der Videos geteilt, das Tim in Aktion zeigte – und “zack” sei sein gesamtes Postfach nahezu explodiert.
Wenn Schauspieler mit 30 Millionen Followern dein Video teilen, dann geht das schon schnell nach oben.
Anfangs sei er ganz schön überfordert gewesen, bei all den Anfragen und Nachrichten. „Aber es hat mich natürlich trotzdem gefreut, dass es passiert“, erinnert er sich zurück. Was ihm ein wenig zu schaffen mache, sei allerdings die Tatsache, dass er nicht alle Nachrichten beantworten könne. „Ich hab’ mir immer vorgenommen, dass ich nie jemand sein möchte, der den Leuten nicht zurückschreibt. Aber es geht einfach nicht anders, ich kann einfach nicht 300 E-Mails am Tag beantworten.“
Nach und nach habe er dann auch prominente Gesichter wie Max Herre oder Timo Hildebrandt für sich und seine Kunst gewinnen können. Bei einem Kaffee habe er dann gemeinsam mit Ex-VfBler Hildebrandt beschlossen, sein Bild in Kooperation mit der Tierschutzorganisation PETA zu versteigern. Und so kam es, dass das Porträt heute im Stuttgarter Restaurant „Körle und Adam“ hängt.
Für sein nächstes Porträt aus Sand würde unser 0711er übrigens gerne den Mann mit der Pandamaske alias Cro gewinnen. „Ich mach‘ halt gerne Stuttgarter, wenn wir hier schon so coole Leute haben, dann kann man die ja auch als Motiv nehmen“, sagt er und hat diesen Wunsch auch schon mal im Radio geäußert. „Aber wahrscheinlich hat er ausgerechnet an dem Tag kein Radio gehört, der Cro“, scherzt Tim. Vielleicht klappt’s ja dieses Mal, wir drücken jedenfalls die Daumen.
Seit ich das mit den Bildern mache, war mein Ziel immer nur: Stuttgart, Stuttgart, Stuttgart.
Da lag es natürlich nahe neben seiner Porträt-Reihe, auch Stuttgarts Architektur auf seinen Bildern zu verewigen. Nach seinem ersten Motiv, dem Stuttgarter Schloss – das heute in der Chefetage der Südwestbank seinen Platz gefunden hat – kam der Fernsehturm. „Ich mag den Ausblick von da oben einfach“, so Tim. Außerdem sei der Turm einer seiner liebsten Orte in Stuttgart. „Ich hab’ halt gern‘ den Überblick. Wenn ich in eine neue Stadt komme, geh’ ich eigentlich immer direkt auf das höchste Gebäude und schau’ mir die Stadt erstmal von oben an“, verrät er.
In der Zwischenzeit haben sich seine Motive jedoch auch weit über Baden-Württembergs Landesgrenzen hinaus bewegt. Nach dem Schloss von Versaille und den Petronas Twintowers, die er aufwendig bis nach Kuala Lumpur verfrachten ließ, bekomme er immer häufiger Anfragen aus der ganzen Welt. Zurzeit sei er im Gespräch mit einer Galerie aus Singapur und den Inhabern des Burj Khalifa, wie er uns verrät. „Also gerade ist viel zu tun, aber ich will schon, dass meine Bilder an gute Adressen kommen und nicht einfach nur so von wegen: ,Hauptsache viel Kohle dafür‘“, fährt er fort. Gute Einstellung, finden wir. Aber nicht nur der ferne und der nahe Osten sind auf den Künstler aus der schwäbischen Provinz aufmerksam geworden, auch der Big Apple hat ein Auge auf den 24-Jährigen geworfen.
Aber jetzt erstmal “back to the roots”, für die gute alte Mutterstadt und ihre Kunst(projekte) würde sich Tim ein wenig mehr Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber wünschen. „Es gibt hier – vielleicht nicht immer auf den ersten Blick – schon einige Angebote, aber genau das finde ich spannend an Stuttgart, dass man das halt erstmal ein bisschen entdecken muss“, betont Tim und merkt an, dass die Stadt auf jeden Fall noch Potenzial habe, auch unkonventionelle Kunst stärker zu fördern. Schade sei vor allem, dass viele Künstler zwecks mangelnder Perspektiven das kleine „S“ verlassen, um sich etwa im dicken „B“ (oben an der Spree, ihr wisst schon) einen Namen zu machen. Genau aus diesem Grund wolle er versuchen, Stuttgart kunstaffiner zu machen. Diesen Worten lässt er übrigens bereits Taten folgen.
Denn seit Anfang diesen Jahres organisiert er regelmäßig eine Ausstellungsreihe namens „Kunscht“, bei der er (noch) unbekannten, talentierten Künstlern die Möglichkeit gibt, sich und ihre Werke zu präsentieren. „Bevor es diesen Hype um meine Bilder gab, hatte ich selbst nicht unbedingt das Gefühl, von irgendjemandem gefördert zu werden – und deshalb mach‘ ich das jetzt“, erklärt er. Für jede Vernissage organisiere er Sponsoren, die die Räume, aufwendig gedruckte Ausstellungskataloge und das Catering übernehmen.
Ich will, dass junge Talente eine Plattform bekommen und ihre Kunst zeigen können. Ich finde in Stuttgart fehlt das ein bisschen.
Vom 10. – 30. November gibt’s übrigens seine nächste Kunscht-Vernissage, die dieses Mal im Haus der Wirtschaft stattfinden wird. Hier werden die Arbeiten seiner sechs Künstler Kollegen ausgestellt. Von Bildern über Mode bis hin zu fotorealistischen Zeichnungen sei alles mit dabei. Wer Tims Bilder gerne mal live und in Schwarz und Gold sehen will, kann das am 15. Oktober bei der Stuttgartnacht im Kessel tun. Zwischen Musik, Poetry Slams und Co. werden seine Bilder nämlich im Rathaus ausgestellt. „Außerdem wird zum ersten Mal ein Bild direkt vor Ort enthüllt. Da gibt es den ‚Magic-Moment’ dann zum ersten Mal vor Publikum. (Für alle, die sich darunter nichts vorstellen können, verweisen wir an dieser Stelle auf Tims Facebook Videos) Da bin ich dann auch schonmal gespannt, wie das wird.“ Wir übrigens auch!
Gespannt waren wir auch darauf, zu erfahren, was Tim eigentlich sonst noch so macht. „Also meistens dreht sich bei mir schon alles um die Kunst: Sei es Kunstgeschichte oder eine Reise, auf der ich mir Kunst anschaue“, sagt er lachend und fügt noch hinzu, dass er aber auch gerne Sport mache, auch wenn es zeitlich nicht unbedingt ausreiche, um Bodybuilder zu werden. „Aber dazu hab‘ ich auch gar nicht die Ambition“, scherzt er. In seiner Freizeit – falls es die überhaupt noch gibt – sei er auch gerne mal mit dem Ruderboot auf dem Neckar unterwegs.
„Und dann suche ich gerade noch ein neues Atelier“, fährt er fort und verrät, dass er seine Bilder zurzeit nämlich noch in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer mache. Im Moment seien sie sprichwörtlich der Mittelpunkt seines Lebens. „Ich habe einfach keinen Platz. Wenn ich ’nen Schreibtisch brauch’, deck’ ich die Bilder mit Folie ab und schreib’ zum Beispiel Hausarbeiten auf dem Bild.“ Das nennen wir mal Improvisationskunst, Herr Bengel.
Wir hoffen, dass du deine Hausarbeiten oder Bilder – je nachdem – bald wieder ganz in Ruhe vollenden kannst und sagen dir Bescheid, falls wir was von ’nem netten Atelier in der City hören sollten. Bis dahin wünschen wir dir weiterhin viel Erfolg und sind gespannt auf deine nächsten Projekte!
NAME … Tim Bengel – ALTER … 24
HERKUNFT … Stuttgart – STADTTEIL … Ostfildern
WAS ICH SO MACH’ … Kunscht aus Sand und Gold
MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST … oben auf dem Fernsehturm
GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … einer frischen Kokosnuss
MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … Kunst und meiner Freundin
ICH KANN NICHT OHNE … Kunst und meine Freundin
DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … meine Bilder
DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … mein Müsli vergolden
ICH WÜRDE NIEMALS … einer normalen Arbeit nachgehen
ICH LIEBE AN STUTTGART … dass es so viel zu tun gibt
ICH HASSE AN STUTTGART … die Schranken in den Köpfen
WENN NICHT STUTTGART, DANN … Barcelona
DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Sand
WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … work, work, work, work …
SO KRIEGT MAN MICH RUM … mit einer frischen Kokosnuss
WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … Jeff Koons
UND ZWAR WO? … in seinem Atelier in New York
STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … Im Herbst ist meine nächste Ausstellung in Stuttgart, kommt vorbei!
1 Comment
I’d there any way I can translate to English. Grate works. Is there a site to watch you work?
Thank you.