In der Serie „0711er“ stellen wir euch Stuttgarter vor, die man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt.


Mit der Rampe geben die Intendantinnen Martina Grohmann und Marie Bues dem zeitgenössischen Autorentheater im Duo eine Plattform. Für unser „Doppelpack“ haben wir hinter den Vorhang des Theaters gespickt, das gleichzeitig als Schlafplatz für die „Zacke“ fungiert. Im ersten Teil habt ihr Marie kennengelernt und nun heißt es „Vorhang auf“ für ihre liebevolle Mitstreiterin Martina. Im Interview plauderte die Frohnatur über die unausweichliche Berührung zum Theater und die Highlights bei der Rampe.

Ein Text von Carina mit Fotos von Felix

Die, in Maria Enzersdorf auf die Welt “gescriptete”, Martina hatte schon in frühen Jahren den Blick auf das Theater gerichtet. Schließlich waren das schöne Wien und dessen prunkvolle Bühnenhäuser nur ein Katzensprung weit entfernt. Der Theaterbesuch gehörte daher zu Martinas Wochenplanung, wie die Sachertorte zum Kaffeehaus. Diese Faszination für die Bühnenkunst kam nicht von irgendwo, denn das Thema war ein Dauerbrenner im Hause Grohmann. Während andere Familien zum Abendbrot dem gepflegten Politiker-Bashing nachgingen, führten die Grohmanns hitzige Diskussionen über die letzten Premieren am Theater. Inmitten dieser Debatten saß die zwölfjährige Martina und wenn sie nicht selbst ihren Senf dazu gab, träumte sie von einer Laufbahn als Theaterkritikerin, in der sie alle Künste in einen Zusammenhang gegenseitiger Reflexion und Kommentierung setzen konnte.

Nachdem die Zukunftszeiger schon früh in Richtung Theater wiesen, wunderte sich niemand über Martinas Studienwahl: Theaterwissenschaften. Die junge Studentin sog die Atmosphäre und das neue Wissen rund um die Bühnenkunst regelrecht auf. Auch merkte Martina über die Jahre mehr und mehr, dass das Wiener Burgtheater doch nicht der Nabel der Theaterwelt sein konnte und so kehrte sie der Donaumetropole schließlich den Rücken. In der Welt der Künste wartete noch so viel mehr auf sie. Neben einem eindrücklichen Zwischenstopp beim Grazer Festival “steirischer herbst“, zog es unsere 0711erin in die Stadttheater-Dramaturgie in die Schweiz – und letztendlich auch nach Deutschland.

Dass die fröhliche Nichtraucherin heute Intendantin an der Rampe ist, haben wir Elias Perrig, dem Schauspieldirektor am Theater Basel, zu verdanken. Mit seinem Konter auf Martinas Beschwerden „du solltest selbst ein Theater leiten“ brachte er den Stein ins Rollen. Intendantin numero due, Marie, stimmte in das „Martina for directorship“- Lied mit ein und beteuerte, sie könne sich am Schreibtisch im Rampe-Büro niemanden besser sitzend vorstellen, als die strahlende Martina. Unsere 0711erin sah sich also im Zugzwang und bereut ihre Entscheidung an keinem Tag. Mit der Leitung des Theater Rampe hat sie sich in eine ihr völlig neue Theater-Szene bewegt, die weit über das Schauspiel hinausgeht.

Dabei ist es der Wahl-Stuttgarterin äußerst wichtig im Wandel und am Lernen zu bleiben. Inspiration für ihre tägliche Arbeit findet sie unter anderem in den frühen Texten von Elfriede Jelinek. Die österreichische Schriftstellerin, die 2004 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde und bekannt für ihren sarkastischen und provokanten Schreibstil ist, fasziniert Martina. Darüber hinaus sind es Menschen, die sich frei vom “Vernutzungsdenken” machen und keine Sachzwänge kennen, die unsere 0711erin beflügeln.

Das Besondere am Theater Rampe: dass die Antennen stets ausgefahren sind – über die eigenen über Bühnenräume hinaus. Mit Kollaborateuren aus Initiativen, anderen Institutionen oder Gruppen lässt sich das Theater auf ungewohnte Strategien ein und verfolgt konsequent das Modell einer offenen Plattform. Bei der Auswahl der Stücke für den Spielplan achtet Martina zum Beispiel besonders auf die Persönlichkeit der Künstler und deren Haltung. Sie sollen den Aufführungen schließlich die nötige Kraft verleihen.

In den vier Jahren, in denen Martina nun Intendantin beim Theater Rampe ist, hat sie schon so manches Spektakel miterlebt. Die Krönung dabei war das Casino, „The European House of Gambling”, welches die Rampe im Juli diesen Jahres sechs Tage lang auf dem Marienplatz betrieb. Dabei stand die Umverteilung als Experiment im Mittelpunkt und damit die Frage, ob eine spielende Gemeinschaft gerechter wäre. Die Organisation und Durchführung dieses Großprojekts kostete jede Menge Schweiß und Nerven und trotz all der Strapazen ist es für Martina das gewesen, was einem im Casino üblicherweise fehlt: pures Glück.

Wer sich von Martinas Passion für das Theater hat anstecken lassen, kann die Schweizer Tanzperformance „I just wanna fucking dance“ in der Rampe bestaunen. Zwei Performer*innen bringen Posen von Protest und Begeisterung auf die Bühne und fordern zum Tanz.

In diesen Rythmus stimmen wir munter mit ein und wünschen dir, liebe Martina, dass du die Theaterarbeit auch weiterhin so radikal, offen und leidenschaftlich betreibst. Wir hoffen, du bleibst der Rampe noch lange erhalten – und freuen uns auf viele weitere Stücke, die uns zum Schmunzeln und Nachdenken bringen. Falls es ein Rennfahrerinnen-Comeback geben sollte, auch dafür viel Glück.

THEATER RAMPE @ WEBSITE
THEATER RAMPE @ FACEBOOK

NAME … Martina Grohmann – ALTER … 45

HERKUNFT … Niederösterreich– STADTTEIL … Bad Cannstatt

WAS ICH SO MACH’ …Dramaturgin und Co- Leiterin der Rampe

MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST …der Wilhelmsplatz und der Hinterhof der Rampe

GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT …eine leere Seite im Kalender

MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … guten Autorinnen

ICH KANN NICHT OHNE …Drehmaschine

DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN …Noch in diesem Jahr:-OZ von O-Team, und im nächsten Februar: I JUST WANNA FUCKING DANCE – Übungen in Posen des Protests von Beatrice Fleischlin und Anja Meser

DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … TECHNE-Flyer in fremde Handtaschen oder Jacken stecken

ICH WÜRDE NIEMALS …mich einem Dogma verschreiben.

ICH LIEBE AN STUTTGART … Dass man von oben runterschauen kann

ICH HASSE AN STUTTGART … dass es keine Freiräume hat, die Stadtentwicklung zusehends in die Sackgasse läuft.

WENN NICHT STUTTGART, DANN … Bad Cannstatt

DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Navigationshilfe

WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST …Radio an

SO KRIEGT MAN MICH RUM …so jedenfalls nicht

WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT Gregor Gog, dem Vagabundenkönig.

UND ZWAR WO? …in meiner dann verrauchten Küche.

WELCHEN STUTTGARTER WÜRDEST DU GERNE MAL KENNENLERNEN? … Gerda Taro

STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN … Nur Mut

 

0711ER – TEIL 1: Marie Bues (Theater Rampe)

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