In der Serie „0711er“ stellen wir euch Stuttgarter vor, die man unter Umständen kennt – und doch nicht so recht kennt. Leute, die unsere Stadt durch ihr Schaffen bereichern, aber oftmals doch im Hintergrund bleiben. Menschen wie du und ich, die ihren Teil dazu beitragen, dass Stuttgart das ist, was es ist: unsere Stadt, die Mutterstadt.


Eleni Zafiriadou und Daniel Benjamin stehen nicht nur als Indie-Pop-Duo SEA+AIR zusammen auf der Bühne, sondern sind auch privat „Sie und Er“. Live versetzen die Tausendsassa ihr Publikum ins Staunen, indem sie bis zu fünf Instrumente gleichzeitig spielen. Seit Kurzem lassen sie es auch mit ihrer Punkband Jumbo Jet wieder ordentlich krachen. Wir überlassen der Lady den Vortritt und starten in Teil 1 mit der griechischen Powerfrau. 

Ein Text von Maren mit Fotos von Saeed

Mit ihrem ersten Album gingen Eleni und Daniel alias SEA+AIR 2011 auf Tour und kamen nach sage und schreibe 600 Shows in 22 Ländern, kurzum drei Jahren Europa-Tournee von A wie Amsterdam bis Z wie Zagreb zurück. Das Gepäck randvoll mit Eindrücken von einem Kontinent im Umschwung. In „Evropi“ haben sie ihre musikalische Reise mit Elenis Familienhistorie verflochten – herausgekommen ist ein Album, das die Stimmung in Europa sensibel einfängt.

Aber zurück auf (Stunde) null: Diese beginnt für Eleni im idyllischen Nürtingen. Die meiste Zeit ihrer Kindheit habe sie mit den anderen Kids im Freien verbracht. Es folgte eine intensive Gameboy-Phase, die von der Tamagotchi-Ära abgelöst wurde, erinnert sie sich zurück. Die Schule fand sie „in Ordnung“, schließlich konnte sie dort ihre Freunde sehen. Außerdem kümmerte sie sich gerne um die Pflege der Blumen. So stehe es zumindest in ihrem Zeugnis. Ebenso, dass sie oft den Unterricht störte. Daran könne sie sich aber nicht erinnern – was du nicht sagst, liebe Eleni.

Ihren griechischen Wurzeln zollte sie allwöchentlich Tribut, indem sie an drei Nachmittagen die griechische Schule und ein mal pro Woche den griechischen Tanzverein besuchte, berichtet Eleni. Mit diesem reiste sie Ende der 90er zum allerersten Mal in den Big Apple: „Meine Begeisterung für die Stadt war höher als alle Wolkenkratzer aufeinander gestapelt“, schwärmt sie. Außerdem bekam sie dabei schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf ihr späteres Berufsleben, bei dem das Reisen ein fester Bestandteil ist. Ihre übrige freie Zeit verbrachte sie vorzugsweise lesend, zeichnend, Musik hörend, Mittag schlafend und Tag träumend. Ob sie schon als junger Spross von einer Musikkarriere träumte? Nicht wirklich. Damals wollte Eleni Rechtsanwältin werden. „In meinem kindlichen Glauben sorgten Rechtsanwälte für Gerechtigkeit“, führt sie aus. Und fügt hinzu: „Dumm, ich weiß.“

Die Geschichte von Elenis und Daniels Kennenlernen klingt so romantisch wie der Plot eines (erstklassigen) Coming-of-Age-Films und hat sich laut eigenen Angaben folgendermaßen zugetragen: Eines Nachts schlafwandelte Eleni durchs Dorf. Daniel war zu später Stunde mit dem Rad unterwegs, entdeckte Eleni – die ihm schon zuvor aufgefallen war – und brachte sie kurzerhand behutsam zurück nach Hause. Bei einer Party fasste er sich schließlich ein Herz und sprach sie mit den folgenreichen Worten an: „Kannst du singen?“ Nun ja, zumindest konnte sie schreien. Und damit war der Grundstein für ihre Punkband „Jumbo Jet“ gelegt. 2004 haben sich die beiden das Ja-Wort gegeben.

Bis 2009 war Eleni Sängerin von Jumbo Jet und mischte nebenher bereits bei Daniels Soloprojekt mit. Schließlich riefen sie 2011 ihr gemeinsames Baby SEA+AIR ins Leben. Ihre Musik in ein herkömmliches Genre zu stecken, würde ihr schlichtweg nicht gerecht werden. Sie selbst definieren sie als „Ghost Pop”: Eine Mischung aus mediterranen Melodien und exotischen Instrumenten, die eine eigene Geschichte erzählen. Wie sie und Daniel als „Bandkollegen“ miteinander harmonieren? Wunderbar! Sie würden sich viel mehr ergänzen, als dass sie sich bewusst gegenseitig beeinflussen, erklärt Eleni. Was viele nicht wissen: Das Duo komponiert auch Filmmusik z. B. für „Schuld sind immer die Anderen“.

Inspirierend findet die Musikerin Menschen, die ihren eigenen, oft unbequemen Weg gehen. Da falle ihr beispielsweise die 19-jährige Kate Bush ein, die sich mit ihrem Plattenboss anlegte und „Wuthering Heights“ als erste Single durchsetzte. „Die Schublade, in die man die bis dato Unbekannte mit der speziellen Stimme stecken wollte, musste erst mal gezimmert werden – genial!“ Was Eleni, die nebenbei bemerkt ihre Herzensmenschen liebend gerne zum lachen bringt, schon immer mal machen wollte? Verschrobene Frauenrollen in Filmen spielen. (Anm. d. Red.: Wer sie schon mal live erlebt hat, kann sich das nur allzu gut vorstellen.)

Die Nürtingerin empfinde es als großes Privileg auf Tour so viele verschiedene Orte und Menschen kennenzulernen. Eine Stunde Entrückung auf der Bühne reiche aus, um einen für die restlichen 23, teils verfluchten Stunden, zu entlohnen, erläutert sie. Zu Hause mag es das Ehepaar eher ländlich und so haben sie ihr Nest in einem Dorf bei Nürtingen aufgeschlagen. Wenn sie zwischen den zahlreichen Gigs zu Hause ist, hält sich Eleni am liebsten im Wald auf, verrät sie uns: „Die frische Luft und die gelegentlichen Begegnungen mit Rehen sind ein erfreuliches Kontrastprogramm zum Touren, wo die Landschaften an einem vorbeirasen.“ Kraft tankt sie bei Aufenthalten in ihrer zweiten Heimat Griechenland. Von ihrem Haus auf einem Felsen direkt über dem Meer beobachte sie gerne die See und den Himmel – ihr merkt schon: Der Bandname ist Programm! Das Zusammenspiel von Farben und Formen, je nach Wetter und Uhrzeit sei ein psychedelisches, rauschartiges Erlebnis, schwärmt die Griechin. Auch schlechtem Wetter könne sie etwas abgewinnen: „Vor unserer Haustür entstehen dann faszinierende Gerhard Richter Motive.“

Mit Stillstand kann unsere 0711erin so gar nix anfangen. Und so ließ die Band Ende letzten Jahres Jumbo Jet wieder zum Leben erwecken: „Mir haben die besondere Energie und das Unberechenbare gefehlt. Etwas, was man in einer Band wie Jumbo Jet durch Lautstärke und zwischenmenschliche Reibungen auf der Bühne generieren kann.“ Außerdem sei es befreiend nur ein Instrument zu spielen – statt wie bei SEA+AIR mehrere gleichzeitig.

Gerade ist mächtig was los im Hause Zafiriadou: Dieser Tage ist die Premiere von „9 Leben“, einem diskursiven Popmusiktheater von und mit Max Braun, Sebastian Röhrle, Andreas Vogel und SEA+AIR. Obendrein nehmen Eleni und Daniel das dritte SEA+AIR Album auf und es folgt die Ausstrahlung eines Stuttgarter Tatorts, für den das Duo den Soundtrack liefert. Als wäre das nicht genug, wird das Debut Elenis norwegischer Trash-Metal Band „Azusa” releast. Eventuell werde es auch noch weitere Jumbo Jet Konzerte geben. „Ausgeglichenheit ist ein gutes Ziel“, gesteht sich das Energiebündel ein. Was sie sonst noch loswerden möchte? Ballast jeglicher Art: „Ob düstere Grübeleien oder düstere Klamotten – ich bin ständig am Ausmisten.“

Vielen Dank für den spannenden Einblick, liebe Eleni! Wir freuen uns, dich schon bald – in welcher Formation auch immer – auf der Bühne zu erleben. Um abwechselnd lauthals mit dir um die Wette zu schreien und mucksmäuschenstill deinen sanften Tönen zu lauschen.

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NAME… Eleni Zafiriadou – ALTER… U40 

HERKUNFT…Griechenland – WOHNORT… Welt 

WAS ICH SO MACH’ … Leben

MEIN LIEBLINGSORT IN STUTTGART IST … Müllaneo

GLÜCKLICH MACHEN KANN MAN MICH MIT … Neapolitanischer Pizza

MEIN PERFEKTES WOCHENENDE VERBRINGE ICH MIT … Freunden

ICH KANN NICHT OHNE … Das Meer

DAS SOLLTE MAN GESEHEN HABEN … The Wire

DAS MACHE ICH, WENN KEINER ZUSCHAUT … Zeichnen

ICH WÜRDE NIEMALS … einen Satz mit „Ich würde niemals“ beginnen

ICH LIEBE AN STUTTGART … dass Jerry Seinfeld ab und zu mal hier ist

ICH HASSE AN STUTTGART … die schlechte Luft

WENN NICHT STUTTGART, DANN … Makrygialos

DAS HABE ICH IMMER IM GEPÄCK … Ohrstöpsel

WENN ICH MORGENS AUFSTEHE, MACH ICH DAS IMMER ZUERST … Traumtagebuch führen

SO KRIEGT MAN MICH RUM … Mit Selbstironie

WENN ICH DIE FREIE WAHL HÄTTE, WÜRDE ICH HEUTE ABENDESSEN MIT … Renate Knaup Krötenschwanz

UND ZWAR WO? … Bei ihr daheim

WELCHEN STUTTGARTER WÜRDEST DU GERNE MAL KENNENLERNEN? … Gehen auch zwei? Dann nehme ich s‘Äffle und s‘Pferdle.

STUTTGART, ICH WOLLTE DIR SCHON IMMER EINMAL SAGEN …Wie wäre es mit folgendem Anagramm: Gutt Start

Maren Wiesner
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