Sein Versuch, das Gesamtwerk von Marcel Proust zu lesen, ist genauso in die Hose gegangen wie sein Vorsatz, mit dem Rauchen aufzuhören. Der französische Schriftsteller scheint dem Stuttgarter Musiker und Autor Christian Rottler zum Lebensthema geworden zu sein.
Vor einem Jahr haben wir in unserer Rubrik 0711er der Woche den Künstler und sein Proust-Projekt vorgestellt. Jetzt hat Christian Rottler (– zum Portrait) ein Buch mit dem Titel „Proust ist mein Leben, doch es langweilt mich sehr – Ursache und Wirkung“ zu seinem Hörspiel herausgebracht. Für uns Anlass genug, uns nochmal mit Christian Rottler zu treffen – auf eine Tasse Kaffee, drei Kippen „Schwarzer Krauser“ und ein Gespräch über das erfolgreiche Scheitern an und mit Proust.
Ein Text von Marcel mit Illustrationen von Christian Rottler
Proust auf Droge?
Auf dem Cover blickt ein offenbar tagegelang zugedröhnter Marcel Proust in obligatorischer Denkerpose ins Leere. Der Untertitel „Ursache und Wirkung“ ist scheinbar lieblos drüber geklatscht. Die Covergestaltung erinnert an dilettantisch aufgemachte Punk-Fanzines aus den späten 80er Jahren. Doch wenn auf zwei Zeilen Text eine 38-zeilge Fußnote folgt, Überschriften den Fließtext torpedieren und Bildunterschriften vogelwild über die Illustrationen laufen, ist klar, dass hier rein gar nichts dem Zufall überlassen ist. Apropos Illustrationen: In diesem Buch sind rund 140 versammelt, die allesamt aus Rottlers Feder stammen. Sie sind in einem Zeitraum von rund 15 Jahren entstanden. „Ich mal‘ die Dinger alle in Flash. Mit der Maus – das ist digital, aber trotzdem irgendwie handgemalt“, sagt Rottler.
Ein Buch übers Scheitern – aus Stuttgart
In diesem Buch sehen wir unter anderem Jean Paul Sartre, David Foster Wallace, Michel Foucault, einen rauchenden Helmut Schmidt und natürlich Marcel Proust sowie die 15 Autorinnen und Autoren, die Essays zum Hörspiel verfasst haben. Auch mich hat „der Rottler“ gezeichnet:
Neben Marcel Proust und unzähligen Querverweisen in den Fußnoten, spielt auch Stuttgart eine wichtige Rolle in diesem Buch: Der Kolumnist Joe Bauer gibt darin eine Anekdote zu den legendären Proust-Lesungen Café Weiß zum Besten. Der Gründer des Lautsprecherverlags Johannes Finke hat sein ganz persönlichen Proust-Moment und erinnert sich an seine Kindheit und Jugend in Zuffenhausen. Der StN-Gerichtsreporter George Stavrakis verwickelt in Rottler in einen absurden Dialog über die Proust, Christiano Ronaldo und Sardinen.
BLICKE INS BUCH
Von Hegel über Marx, Lenin zu Rottler (oder so)
„Das ist schon auch ein Stuttgart-Buch. Im Hörspiel geht es ja auch um den Stuttgarter Philosophen Friedrich Hegel: Marx hat ja Hegel vom Kopf auf die Beine gestellt. Lenin bezieht sich auf Marx, Mao wiederum auf Lenin. Stark runtergebrochen kann man sagen: Stuttgart ist nicht nur die Wiege des Automobils, sondern eben auch der Kulturrevolution und letztlich des chinesischen Turbokapitalismus. Das ist vielen nicht bewusst“, sagt Rottler, Rauch ausprustend und dreckig lachend. Das Buch entstand gemeinsam mit dem Berliner Grafiker Jan Ziegner, mit dem Rottler während des Studiums an der Bauhaus-Universität gemeinsam bei Deutschen Nationaltheater in Weimar als Beleuchter gejobbt hat. „Wir wollten schon vor zwei Jahren fertig sein. Aber bei einem Buch über das Scheitern ist es wohl nur folgerichtig, dass der Zeitplan nicht eingehalten wird.“
Vier Jahre Scheitern reichen auch einem Christian Rottler
Das Buch ist beim Ratzer (– zu unserem 0711er) sowie online bei dem Großkonzern mit dem großen A oder direkt auf Rottlers Homepage zu kaufen. Im Herbst steht eine Buchpräsentation gemeinsam mit Joe Bauer und Rottlers Band Lenin Riefenstahl an. Danach soll Schluss mit dem Proust-Projekt sein. Nach rund vier Jahren hat Rottler genug von der Auseinandersetzung mit seinem Scheitern. Aber vielleicht ist das auch nur wieder so ein Vorsatz wie der, endlich mit dem Rauchen aufzuhören.
Hörspiel beim MDR in gekürzter Version (29 anstatt 47 Minuten)
Besprechung des Hörspiels von Eva Maria Lenz [epd, FAZ]
Das Vorwort zum Anhören, gelesen von Rottler: