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Als 13-Jähriger besprühte er noch das Bahnhofsklo, nun bemalt Florian Kaiser (Foto oben, rechts) Wände in Townships, Favelas und Slums auf der ganzen Welt. Mit seiner Kunst will er den Menschen vor Ort ein Gesicht geben. Gemeinsam mit dem Streetart-Künstler Daschu macht der 30-Jährige im Rahmen des „Manila Art Projects“ auf politische Missstände auf den Philippinen aufmerksam. Dazu gibt es einen Film von Kevin Koch: Die Premiere ist am 28. April im Traumpalast in Biberach an der Riß.

Interview von Alessandra – Redaktion: Marcel


Ihr wart vier Wochen auf den Philippinen und habt dort in einem Slum gewohnt. Daraus entstand euer neues Projekt. Wie kommt man auf eine solche Idee?

„Mein Kollege Steve Won zeigte uns damals Bilder vom Bagong Silang Cemetry Slum in Manila. Das ist eine informelle Siedlung, bei der die Menschen aufgrund der Wohnraumknappheit ihre Häuser illegal auf gestapelte Gräber gebaut haben. Dabei wirkten die Gräber wie ein Sockel für die Wellblechhütten. Dieses Bild hatte einerseits etwas sehr Bedrückendes, andererseits erkannten wir darin eine spezielle Ästhetik, die uns direkt faszinierte.“

Foto: Rampant Pictures
Foto: RampantPicture

Und dann – Flieger gebucht und einfach los?

Unsere ursprüngliche Idee war es, genau diese Häuser blau zu bemalen. Als wir dort ankamen, mussten wir jedoch feststellen, dass die Häuser größtenteils abgerissen worden waren, weil die Regierung kurz davor beschlossen hatte, die Menschen umzusiedeln. Ausländische Medien hatten offenbar über den ,ärmsten Slum auf den Philippinen’ berichtet. Das war der Regierung ein Dorn im Auge. Dann haben die Abrisstruppen der Regierung bei den Leuten geklopft und gesagt: ,Wir haben eine gute Nachricht für euch: Die Regierung stellt euch ein neues Haus. Allerdings reisen wir alle illegal errichteten Häuser auf dem Friedhof ab.’ Man muss dazu sagen, dass die neuen Häuser tatsächlich sehr viel hochwertiger waren. Das Problem war allerdings: Plötzlich fanden sich diese Leute in Bulacan wieder, einer Stadt zwei Stunden außerhalb von Manila. Die Kinder hatten es weit zur Schule und die Erwachsenen fanden dort keine Arbeit.

Wir haben Leute getroffen, die hatten 60 Jahre und länger auf dem Friedhof gelebt – und auf einen Schlag waren sie entwurzelt.

Im ersten Moment zweifelten wir an der Sinnhaftigkeit unseres Projektes und suchten nach Alternativen. Schließlich wollten wir den Lebensraum von Menschen aufwerten, die gerade umgesiedelt wurden. Nach intensiver Diskussion in der Gruppe erkannten wir allerdings, dass wir genau diese Zwangsumsiedlung der Menschen zum Thema des Projektes machen können beziehungsweise sogar müssen. Also haben wir mit dem Filmteam und unseren beiden Fotografen Benno Heller und Ibo Köse die Leute interviewt, die von der Umsiedlung betroffen waren. Und diese Fotos benutzten wir als Vorlage und haben sie auf die Friedhofsmauern ihrer alten Heimat gemalt. Fünf bis sechs Meter groß, so richtig knallige Dinger. Unter jedes Bild schrieben wir den Namen des Porträtierten sowie ,Citizen of Bagong Silang’.

Plötzlich hatte das bloße Kunstprojekt also eine politische Ebene bekommen …

Genau, ursprünglich wollten wir nur eine heruntergekommene Gegend verschönern, nun lieferten wir ein politisches Statement ab: Wir geben den Leuten, die so würdelos umgesiedelt wurden, eine Stimme. Wir wollten den Menschen durch die Porträts unsere Wertschätzung entgegenbringen.

Wie war das für die Menschen, als sie ihr Porträt an der Wand gesehen haben?

Da gab’s schon sehr bewegende Momente. Linda, eine alte Frau, konnte etwa nicht fassen, warum ihr Porträt da so groß abgebildet war. Diese Ehre würde doch sonst nur Präsidenten oder Popstars zuteil, sagte sie. Sie war überwältigt, man merkte ihr die Lebensfreude, die dieser Moment in ihr weckte, direkt an.

Foto: RampantPictures
Foto: RampantPictures

Habt ihr alles alleine gemacht?

Nein, wir haben fünfzehn Helfer eingestellt, vorrangig Jungs mit krimineller Vergangenheit und teilweise mit Tätowierungen im Gesicht. Für diese Jugendliche ist es auf dem Arbeitsmarkt nahezu unmöglich, eine Stelle zu finden. Sie halfen uns beim Bau eines Gerüsts und beim Streichen, denn zusätzlich zu den Porträts haben wir eine Straße in der Nachbarschaft des abgerissenen Slums komplett blau gestrichen.

Foto: Rampant Pictures
Foto: Rampant Pictures

Hattet ihr von vornherein geplant, das Erlebte durch einen Film zu transportieren?

Die beiden Filmemacher Kevin und Steve kamen eigentlich nur mit, um unsere Eindrücke festzuhalten und einen kurzen Clip zu drehen. Erst die Aufarbeitung des Themas der Umsiedlung machte aus der Kollaboration ein echtes integriertes Projekt. Dabei ist das Medium Film die optimale Ergänzung zu den Medien Fotografie und Streetart. Im Film wird die gesamte Umsiedlung dokumentarisch aufgearbeitet: woher kommen die Menschen, wie kamen sie ins Bagong Silang Cemetry Slum, wie erfolgte die Umsiedelung und welche Probleme brachte sie mit sich. Der Film ist für uns schlussendlich genauso wichtig wie das Streetart-Projekt.

Foto: Gertjan Van Geerenstein
Foto: Gertjan Van Geerenstein

Wie seid ihr auf die Idee gekommen direkt dort zu wohnen?

Die Leute haben uns eingeladen (lacht). Die ersten Tage haben wir noch bei einem befreundeten Zahnarzt gewohnt – in einer tollen Wohnung direkt in Manila. Das hatte aber den Nachteil, dass wir jeden Tag zwei Stunden mit dem Bus durch Manila fahren mussten. Schließlich lud uns ein Pfarrer ein. Sein Haus war eines der wenigen, das von der Regierung noch nicht abgerissen wurde, weil es aus Stein und massiver als die Wellblechkonstruktionen war. Dort zu wohnen war für uns natürlich super, wir wurden schnell als Teil der Familie angesehen.

Ihr habt bereits andere Streetart-Projekte umgesetzt. Besondere Aufmerksamkeit habt ihr durch das „Township Art Project“ in Südafrika bekommen. Wie kam es zu diesem Projekt?

Ich war zuvor schon in Südafrika gewesen, um im Rahmen meines Architekturstudiums einen Kindergarten in einem Township zu bauen. Wie in Manila halfen uns Einheimische beim Bau des Kindergartens, mit denen ich mich schnell anfreundete. Mich interessierte das Leben und die Menschen im Township mehr, als die Hipsterbars in Kapstadt. Als ich eines Sonntags fragte, ob man hier irgendwo gut sprayen konnte, meinte eine Townshipbewohnerin: ,Ach komm’, mal meine Hütte an – schlimmer als jetzt kann sie ja gar nicht werden.

Foto: Gertjan Van Geerenstein
Foto: Gertjan Van Geerenstein

Wie hast du die Hütte bemalt?

Mit einem Porträt von Nelson Mandela. Die Besitzerin war super dankbar, wollte mir sogar Geld geben – und dann kamen noch viele Nachbarn an und wollten auch einen Mandela auf ihrer Hütte.

So etwas scheint in Deutschland undenkbar. Welche Schlüsse ziehst du aus diesen Erlebnissen?

Die Menschen in Südafrika konnten mich zwar nicht bezahlen, sie waren jedoch dankbar und gaben mir die volle künstlerische Freiheit. In Deutschland hat man besonders bei privaten Aufträgen häufig eine lange Diskussion über Motiv und Farbgebung.

Foto: Rampant Pictures
Foto: Rampant Pictures

Beim Township Art Project verwendet ihr erstmals die himmelblaue Farbe, die nun gewissermaßen euer Markenzeichen geworden ist. Wie kam es dazu?

Wir ließen uns von der marokkanischen Stadt Chefchaouen inspirieren, einer Stadt, deren Häuser, Treppen und Gassen komplett blau bemalt sind. Das einzelne Haus ist unspektakulär, aber die Stadt in ihrer Gesamtheit ist wunderschön. Dieses Blau wollten wir auf die Townships übertragen. Der komplett blaue Anstrich gab den Townships die Ästhetik eines griechischen Dorfs, und das kombinierten wir dann mit Porträts von Menschen, die dort leben. Eine Woche vor Abflug konnten wir noch den Fotograf Benno Heller für uns gewinnen, der nicht nur die Fotovorlagen lieferte, sondern auch alles mit seiner Kamera für eine Ausstellung dokumentierte.

In einer Favela in Rio de Janeiro hast du letztes Jahr mitsamt einer Kletterausrüstung mehrstöckige Häuser bemalt. Hast du dich irgendwann einmal unsicher gefühlt?

Sagen wir mal so: Das war das erste Mal in meinem Leben, dass jemand ein Maschinengewehr auf mich gerichtet hat. Mit dem Finger auf dem Abzug.

Foto: Rampant Pictures
Foto: Rampant Pictures

rampant pictures

Wie kam es dazu?

Als ich in Rio ankam besuchte ich gemeinsam mit befreundeten lokalen Künstlern unterschiedliche Favelas, in denen wir jeweils einen Kontakt hatten. Mich interessierten weniger die gentrifizierten Favelas Vidigal und Santa Marta, sondern vielmehr die authentischen Favelas. Eines Tages verabredete ich mich mit den beiden Graffitimalern Beto Fame und Cash, um die Graffitilegende Acme in der Favela Pavão-Pavãozihno zu besuchen. Sie führten mich in die Favela und wie sich herausstellte, war nicht nur ich das erste Mal dort. Ich wollte gerade meine Kamera zücken, wurde jedoch von meinen Begleitern unterbrochen:

Oh, schlechte Idee. Bleib‘ cool, beweg‘ dich langsam.

20 Meter entfernt stand einer mit einem Maschinengewehr, Finger am Abzug und schreite mich an. Ich habe kein Wort verstanden. Beto Fame und Cash wollten ihn beruhigen, wurden jedoch direkt zurechtgewiesen: ,Ich erschieß euch gleich! Zieht eure T-Shirts aus und zeigt mir, dass ihr keine Waffen habt.’ Das haben wir alle brav gemacht und sind dabei vor Angst schier gestorben. Als wir ihm erklärten, dass wir den Graffitimaler Acme besuchen wollten änderte sich der Ton schlagartig: ,Ach, den Acme. Ja, sagt das doch gleich. Kommt mit, der wohnt da oben. Grüßt ihn von mir.’ Wenn du aber einmal drin bist – und das haben alle Slums gemeinsam – gibt’s eigentlich keine Kriminalität mehr. Unser Kameramann hat einmal für eine Zeitrafferaufnahme meine Kamera fünf Stunden lang unbeaufsichtigt aufgestellt. Obwohl sie jeder unbemerkt nehmen hätte können, war sie am Ende noch da. In Stuttgart hätte spätestens nach fünf Minuten jemand die Kamera geklaut.

Und habt ihr schon neue Ideen für weitere Projekte?

Wir haben schon sehr viele Ideen für weitere Projekte und knüpfen diesbezüglich gerade Kontakte in Ghana, Indonesien und im Iran. Es geht also weiter …

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